Wie weit würdest Du für Geld gehen? Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) wagen den Versuch und stellen sich Tag und Nacht als Callgirl zur Verfügung. Sex ist schließlich auch nur eine Ware! Aber können die beiden wirklich nach ihrem Job einfach so ihren Alltag fortsetzen?
Hanna studiert Kunstgeschichte, Lea geht zu diversen Theatercastings. Und immer wieder fehlt den beiden Freundinnnen das Geld. Ein Job muss also her. Welcher, das entscheiden sie per Münzwurf. Ergebnis: Callgirl. Von nun an lassen Hanna und Leo sich schlechten (und guten) Sex bezahlen und tragen sich in die Kartei eines mittelständischen Escort-Services ein. Ihr Motto: „Männer kommen und gehen, aber wir sind Königinnnen.“ Es ist ein verruchtes Abenteuer, das mit dem schnellen Geld lockt. Außerdem war Sex ohne Liebe vorher auch schon möglich. Die Rechnung ist so simpel wie naiv. Sanft wird der Einstieg ins Geschäft nicht gerade: Der Karteibogen ist noch nicht mal ganz ausgefüllt, schon wird Hanna für den ersten Job gebucht. „Rein, raus, dann ist er ein eingeschlafen.“
Sabine Derflingers „Tag und Nacht“ gibt keine behutsame Einführung in die Materie, sondern wirft den Zuschauenden mitten ins Geschehen. Sie zeigt die nackte Wahrheit, beschönigt nichts. Deshalb gingen die Protagonistinnen auch nicht vor dem Dreh ins Fitnessstudio. Gerade diese Natürlichkeit macht den Film authentisch.
Jeder Kunde gleicht einem Sprung ins kalte Wasser. Der eine will Sex im Fahrstuhl, der andere steht auf Schimpftiraden und Oma-Nachthemden. Oft ist der Akt nur ein Job, aber so mancher Freier löst Glücksgefühle aus. Immer mehr verlieren die beiden den Fokus auf ihr Leben. So manches Sexdate wird wichtiger als die Vorlesung in Kunstgeschichte oder das Vorsprechen für’s Theater. Im Laufe der Zeit beugen sich die beiden zunehmend den Wünschen ihrer Klienten und durchbrechen dabei selbst gesetzte Grenzen.
Als die beiden für ihren ersten gemeinsamen Job gebucht werden müssen sie feststellen, dass einzig und allein das Geld die Grenzen bestimmt und der Kontrollverlust nur eine Frage der Zeit ist.
Die gesellschaftliche Brisanz von „Tag und Nacht“ ist nicht von der Hand zu weisen. Schließlich übten im Jahr 2011 ganze 3,7% der Berliner Studenten nach einer Studie des Studienkollegs Berlin einen Job im Rotlichtmilieu aus. Das könnte den Film zu einem Publikumserfolg werden lassen, aber auch aus anderen Gründen ist „Tag und Nacht“ durchaus sehenswert. Denn der Film ist von künstlerischer Qualität. Die Schnitte von Karina Ressler sind sehr präzise gesetzt. Die Sexszenen sind nüchtern arrangiert, verschweigen nichts, verweilen aber nie zu lange. Manche Bildsequenzen sind verlangsamt. Zusammen mit dem immer wiederkehrenden musikalischen Leitmotiv gewinnt der Film an Ernsthaftigkeit und Schwere.
„Tag und Nacht“ erhebt nicht den moralischen Zeigefinger und verurteilt nicht die kleinen Perversionen der Männer – sondern beobachtet und nimmt erstmal hin. Er hat dabei einen ähnlichen Blickwinkel wie die zwei Protagonistinnen. Fast dokumentarisch erzählt der Film von extremen menschlichen Begegnungen, skizziert die beiden Charaktere so ausführlich wie nötig und zeigt, dass ein Film mit vielen Nackt- und Sexszenen keinesfalls ein Porno sein muss.
Tag und Nacht, Drama, Erotik, Spielfilm, Österreich 2010, 101 Minuten, ab 19.01. unter anderem in folgenden Kinos: Moviemento, Kottbusser Damm, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Schönleinstrasse und Tilsiter Lichtspiele, Richard-Sorge-Strasse .