Viele waren schockiert und sehr überrascht, als es 2011 ans Licht kam: Eine mordende Nazi-Bande, die „Zwickauer Zelle“, hatte jahrelang unbehelligt quer durch Deutschland Menschen umgebracht. Dabei haben wir auch gelernt, dass Frauen in der Neonazi-Szene eine nicht unerhebliche Rolle spielen: Beate Zschäpe war bis zum Schluß eine zentrale und treibende Figur im aufgeflogenen Netzwerk des Nazi-Terrors. David Wnendts Spielfilmdebüt “Kriegerin” könnte also kaum zu einem passenderen Zeitpunkt in die deutschen Kinos kommen, ein Film, der eine Geschichte über junge Frauen in der rechtsextremen Szene erzählt .
Marisa ist zwanzig, eine junge Frau in der ostdeutschen Provinz, wo Perspektivlosigkeit das Leben der Jugendlichen prägt. Auf der Schulter hat sie “Skingirl” tätowiert, auf der Brust das Hakenkreuz. Ihr Freund ist Anführer einer Clique von Neonazis, die Politik, “Bullen“ und Einwanderer für den vermeintlichen Verfall des Landes verantwortlich machen. Sie sind aggressiv, gewalttätig und glauben, über dem Gesetz zu stehen.
Doch Marisas Leben ändert sich, als ihr Freund ins Gefängnis muss: Die fünfzehnjährige Svenja aus gutbürgerlichem Hause dringt in die Clique ein – und ändert darin die Balance. Als zwei Brüder aus dem naheliegenden Asylbewerberheim eines Tages den Strand des örtlichen Badesees besuchen, rastet Marisa aus – und überfährt die beiden auf dem Nachhauseweg beinahe. Während der ältere der beiden im Krankenhaus landet, kommen der jüngere und sie sich näher. In der Folge hinterfragt Marissa erstmals die Neonazi-Szene und ihre Ideologie. Sie will aussteigen, doch der Versuch wird sie teuer zu stehen bekommen.
“Kriegerin” wagt den Blick hinter die harte Schale einer jungen Rechtsradikalen. Bemerkenswert ist dabei die Ambivalenz von Marisas Charakter, die durch die jungen Schauspielerin Alina Levshin brilliant dargestellt wird. Die zärtliche Beziehung zu ihrem Großvater und ihr Zusammenbruch nach seinem Tod, ihr schüchterner Traum von einem Kind mit ihrem Freund stehen im krassen Kontrast zu ihrem Alltag als “Nazibraut”, wie es stolz auf ihrem T-Shirt prangt. Doch warum ist Marisa so widersprüchlich? Der Film sucht die Antwort in den Beziehung zu ihrer Familie. Ihr fehlen Aufmerksamkeit und Anerkennung – auch von ihrer Mutter, die offen zu ihrer Tochter sagt: “Es gibt ja nicht wirklich viel, was du richtig gut kannst.” Dabei steckt in der „Nazibraut“ auch etwas sanftmütiges, sie hat sogar ein Gewissen und Verantwortungsbewusstsein, das jedoch durch Unreife, Impulsivität und die beständige Suche nach Anerkennung nicht zum Zuge kommt. Am Ende steht die Läuterung. Marisa wird die Sinnlosigkeit der rechtsextremen Gesinnung brutal vor Augen geführt – eine Paraderolle für Hauptdarstellerin Alina Levshin.
Ein Gegenpol hingegen ist die fünfzehnjährige Svenja (Jella Haase), die alterstypisch schlichtweg rebellieren will. Verliebt in ein Mitglied der Nazi-Gruppe, gerät sie in die Szene und genießt das Gefühl der Freiheit, wenn sie aus dem Dachfenster des Autos den Hitlergruß zeigt. Auch die jungen Neonazis, die sich zu Treffen in einer Plattenbauwohnung zusammenfinden, sind meist Mitläufer, getrieben von der Perspektivlosigkeit, Langeweile und unkontrollierter Gewaltbereitschaft, die sie bei Saufgelagen ausleben. Was sich da als Herrenrasse tituliert, ist eher der Kaffeesatz einer Gesellschaft, die sich mit der alltäglichen Präsenz ihrer Nazi-Kinder abgefunden hat.
Regisseur David Wnendt legt mit “Kriegerin” eine überzeugende Milieustudie rechtsradikaler Mädchen vor, die vor allem bei der Darstellung der zwischenmenschlichen Konflikte überzeugt. Für seine Recherche begleitete er in der Lausitz rechtsradikale Jugendliche. Dabei schockierte ihn, wie sehr Rassismus und Nationalismus in ländlichen Gebieten in der Mitte der Gesellschaft wieder Fuß fassen. Ein Umfeld, in dem sich viele Jugendliche offen als Neonazi bekennen. In seinem Spielfilm lenkt er den Blick auf das Innere und die persönlichen Hintergründe junger Neonazis ohne aufdringlich zu werten – die ruhigen und starken Bilder sprechen Bände.
Kriegerin, Drama, Deutschland 2011, ab 19. Januar 2012 unter anderen im Kino in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Berlin-Prenzlauer Berg, U-Bahn: Eberswalder Straße