Wer sich auf eine Bühne stellt, möchte gehört werden, sollte man meinen. Der Titel von Charlotte Gainsbourgs neuem Album „Stage Whisper“ – sprich: Bühnengeflüster – beinhaltet also einen interessanten Widerspruch, der dazu verleitet, in Charlottes Vergangenheit vorzudringen. Als Tochter von Serge Gainsbourg und Jane Birkin stand sie schon früh im Rampenlicht, doch immer als ruhige, zurückhaltende Erscheinung. Ihre verführerisch scheue Stimme ist ihr Markenzeichen als Sängerin. Die hatte sie schon bei der Aufnahme des hoch kontroversen Songs „Lemon Incest“ mit ihrem Vater im Jahr 1984. Auch als Darstellerin in Lars von Triers „Antichrist“ war Gainsburg alles andere als zurückhaltend. Das Motto der Französin könnte also sein, gehört zu werden, ohne dafür laut sein zu müssen.
So klingt nun auch ihre dritte Platte „Stage Whisper“, die aus einer CD mit neuen Stücken und einer CD mit Live-Aufnahmen von der Tour zu ihrem vorherigen Album „IRM“ besteht. Wer letzteres gehört hat, wird vom neuen Album überrascht sein, das unerwartet aggressiv mit dem Lied „Terrible Angels“ beginnt. Die Computer-Effekte sind viel präsenter als früher und verstärken den Text, in dem Charlotte um Absolution und Vergebung fleht. Das Video zum Stück zeigt die Sängerin, wie man sie kennt: verwuschelte Mähne, Jeans, Lederjacke und die für sie typischen, abgerockten Cowboystiefel. Doch kann man einen gewissen Wandel in ihrem Stil bemerken, als sie plötzlich zu tanzen beginnt, denn das ist neu. Auch im Lied „Paradisco“ spürt man den deutlichen Einfluss von Co-Komponist Beck, der auch einen Großteil des Albums produziert hat: präsenter Bass und elektronische Klänge. Dieser Song ist ein kleines Meisterstück dank seiner perfekt nuancierten Kontraste – sowohl die hohe Stimme als auch der abgehobene Text schweben, während die Instrumente das Stück mit ihrer Regelmäßigkeit erden. Im darauffolgenden „All The Rain“ erkennt man wiederum Charlottes bekannten Stil: melancholischer Text, asiatische Klänge trotz eines rockigen Ansatzes. Bei „White Telephone“ wird danach es viel ruhiger, Gitarre und Bass passen wunderbar zu den Streichinstrumenten, für die Gainsbourgs Stimme wie eine Begleitung klingt.
Im Stück „Anna“ besingt Charlotte eine nahestehende, vermisste Person. Die sanfte Melodie und der quasi gesprochene Text versetzen einen in die Jugend der Sängerin, nach der sie sich scheinbar zurücksehnt – obwohl ihr damals der Nimbus anhaftete, als Mädchen gesehen zu werden, an dem ein Junge verloren gegangen ist, das oft mit ihrem berühmten Vater verglichen wurde und androgyn aufgetreten ist. Die Überwindung dessen, die gereifte Frau Gainsbourg schließlich lässt sich aus der Ballade „Out of Touch“ heraushören. Das Stück wurde von Connan Mockasin komponiert und im Duett mit ihm interpretiert. Es scheint, als würde die Sängerin nur in näherer Umgebung von Männern ihre feminine Seite zeigen. Und auch im Abschlusstitel „Memoir“ ist sie keineswegs mehr zaghaft, auch wenn ihre Stimme es ist – der Text ist klar, erotisch, erwachsen.
Die Frau, die auf der Bühne steht, lässt somit immer mehr durchblicken, wer sie wirklich ist. Denn hinter der Bühnenfigur steckt eine Künstlerin mit eisernem Willen, die bewiesen hat, dass sie nicht nur „die Tochter von“ ist. In gewisser Weise hat Charlotte Gainsbourg nun aufgehört, mit ihrem Publikum Katz und Maus zu spielen.
Preview :
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Tracklist CD 1:
- Terrible Angels
- Paradisco
- All The Rain
- White Telephone
- Anna
- Got To Let Go (Feat. Charlie Fink Of Noah & The Whale)
- Out Of Touch
- Memoir
Preview:
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Tracklist CD 2:
- IRM
- Set Yourself on Fire
- Jamais
- Heaven Can Wait
- In the End
- AF607105
- Just Like a Woman
- The Operation
- The Songs That We Sing
- Voyage
- Trick Pony
(Because Music/Warner)