Natürlich kann man über den Sinn von Kunst streiten. Doch gerade das Medium Film offenbart das Gegensätzliche, was Kunst kann: Während Zuschauer bei den Erzeugnissen der Traumfabrik Hollywood mit ihren Stars und Spezialeffekten für zwei Stunden in den Kaninchenbau von „Alice im Wunderland“ fallen, zeigen Independent-Filmemacher Land und Menschen mit fast kühler Schärfe und porträtieren Milieus und zwischenmenschliche Konflikte. Die amerikanische Indiefilm-Bewegung aus dem Dunstkreis des Sundance Filmfestival in Salt Lake City beeindruckt mit meditativen Naturaufnahmen und den Mut unangenehme Themen aufzugreifen. Sie erzählen von den Schattenseiten der amerikanischen Gegenwart und Geschichte, wie der Genozid an den Ureinwohnern, und pflegen einen ungeschminkten Umgang mit Sexualität. Bereits zum vierten Mal zollt man beim Unknown Pleasures – American Indepent Filmfest diesen Filmemachern Anfang Januar im Filmkunsthaus Babylon in Berlin-Mitte Tribut.
Hier eine Auswahl:
We Can’t Go Home Again
Ein Vorreiter des Indepent-Kinos war Nicholas Ray. Der Filmemacher landete in den 1950ern seinen einzigen kommerziellen Erfolg mit „…denn sie wissen nicht was sie tun“ mit James Dean, bevor er mit Hollywood brach und ins selbstgewählte Exil nach Europa ging. Viele Jahre später gab ihm ein Lehrauftrag Gelegenheit, wieder kreativ zu werden. So entstand 1976 zusammen mit seinen Studenten sein psychedelisch-experimentelles Meisterwerk über die Protestkultur der 1960er: „We Can’t Go Home Again“. Lange galt der Film als verschollen. Nun ist er wiederaufgetaucht und wird, aufwändig restauriert, beim Festival als Höhepunkt aufgeführt: Filmliebhaber freuen sich auf die Deutschlandpremiere nach über dreißig Jahren des Wartens.
Mo, 9. Januar, 21:00 Uhr; Fr 13. Januar, 19:30 Uhr
Boxing Gym
Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahr ist der 38. Film von Frederick Wiseman, einem der größten Dokumentarfilmer unserer Zeit. Er konzentriert sich vornehmlich auf die Erkundung der amerikanischen Gesellschaft – und hat mit seinem Gesamtwerk eine filmische Chronik der westlichen Gesellschaft über die letzten vierzig Jahre hinweg geschaffen. In „Boxing Gym“ (Trailer) zeigt er einen Box-Club als Begegnungsort von Menschen verschiedenster Couleur und sozialer Herkunft.
Mi, 11. Januar, 19:30 Uhr
Martha Marcy Mae Marlene
Vom verzweifelten Kampf einer jungen Frau mit Traumata ihrer Vergangenheit erzählt Sean Durkins in seinem ersten Film „Martha Marcy Mae Marlene“ (Trailer). Dabei enthüllt er langsam, mit einer fast zynischen Lethargie und Konfusion, eine erschreckende Geschichte: Nach Jahren taucht Martha wieder auf und kommt bei ihrer älteren Schwester Lucy und deren Ehemann unter. Schnell wird klar – Martha hatte in einer sektenähnlichen Gemeinschaft um die kollektive Vater- und Schreckensfigur Patrick gelebt. Aus der Geborgenheit der Gruppe wurde schnell ein Spiel um Sex und Macht.
Fr 6. Januar, 19:30 Uhr; So 15. Januar, 16:00 Uhr
Green
In „Green“ (Trailer) von Sophia Takal ziehen die beiden New Yorker Öko-Yuppies Gennevieve und Sebastian aufs Land. Er arbeitet an einem Artikel über nachhaltige Landwirtschaft. Sie ist beschäftigungslos und fühlt sich von ihrem Mann vernachlässigt. Doch dann trifft sie auf Robin, eine Frau aus der Gegend, die ganz anders als die liberalen Intellektuellen aus der Großstadt ist: direkt und rau. Beide Frauen freunden sich an. Doch dann nagen Eifersuchtsfantasien an Gennevieve. Erotik und Momente des Wahnsinns wechseln sich mit poetischen Naturbildern ab.
Fr 6. Januar 21:00 Uhr; Fr 13. Januar, 21:15 Uhr
Mildred Pierce
Ebenfalls werden die ersten zwei von insgesamt fünf Folgen der zum Kult avancierenden Miniserie „Mildred Pierce“ (Trailer) gezeigt. Kate Winslet überzeugt in der Rolle einer alleinerziehenden Mutter im Los Angeles der 1920er-Jahre, die verzweifelt um die Liebe ihrer Tochter kämpft.
Di 10. Januar 19:30 Uhr
Terri
Mit Azazel Jacobs‚ „Terri“ (Trailer) findet sich im Programm auch ein wunderbarer Gegenentwurf zum klassischen Highschool-Flick: Der übergewichtige Außenseiter Terri freundet sich, ermutigt durch seinen martialischen Schulleiter mit dem Zappelfillip Chad und der frühreifen Heather an. Zwischen den drei „Freaks“ entwickelt sich eine herzige Geschichte ums Erwachsenwerden, die ohne Lindsay Lohan und Zickenkrieg auskommt und mit viel Feingefühl erzählt wird.
Fr 6. Januar 21:30 Uhr; Mi 11. Januar 21:15 Uhr
Alles im Überblick:
Unknown Pleasures – American Indepent Filmfest vom 1.- 15. Januar im Babylon, Preise: 6,50€, ab 130 Minuten Filmlänge plus 0,50€, ab 150 Minuten Filmlänge plus 1,-€, für Freundeskreismitglieder 3,-€ Rosa-Luxemburg-Str. 30, Berlin-Mitte, U-Bahn: Rosa-Luxemburg-Platz
Achtung: Fast alle Filme werden in Originalfassung ohne Untertiel gezeigt!