Conforce – Escapism

Wenn es um den die zeitgemäße Reformulierung von Detroit-inspiriertem Techno geht, ohne sich dabei vorgefertigter Formalismen zu bedienen oder in ausgetretene Klischeepfade zu verfallen, dann ist das 1996 von Peel Seamus in Amsterdam gegründete Label Delsin Records eine verlässliche Adresse. Auch chordbasierter Dubtechno zwischen Referenzen wie Chain Reaction und Basic Channel hat auf dem Label seine Heimat gefunden. Angenehmerweise entsteht bei Delsin nie der Eindruck, es solle ein bloßer Adeptensound bedient werden, der vom mythischen Kapital alter Helden zehrt. Vielmehr gilt die Regel, nach der Konservatismus sich dann als überlebensfähig erweist, wenn er sich flexibel aus bewährtem Fundus bedient ohne dabei in Epigonentum zu erstarren.

Es ist nicht übertrieben, „Escapism“ von Conforce als einen realisierten Idealtypus dieser Weisheit zu bezeichnen. Boris Brunnik aka Conforce hat bereits im vergangenen Jahr mit „Machine Conspiracy“ auf Meanwhile Records gezeigt, dass er ein glückliches Händchen für das Arrangement von komplexen atmosphärischen Flächen und Schichten besitzt. „Machine Conspiracy“ lebte ganz von seinen reduzierten Dub-Chords und raumgreifenden Strings, in deren ozeanischer Weite manche der Tracks fast zu ertrinken drohten. Wo Conforce hier noch ganz mit cinemascopeartigen Harmonien und Stimmungen zwischen Kontemplation und Düsternis gearbeitet hat, bemerkt man beim Hören von „Escapism“ auf Anhieb, dass sein Sound insofern entschlossener und stringenter geworden ist, als er sich von den Regeln des puristischen Dubtechno freischwimmen möchte. Besonders der Einsatz von Strings hat sich reduziert und Platz für ein technoideres Rhythmusgerüst geschaffen, das zum Teil dennoch in einer dubbigen Statik verankert bleibt. Fast erschrickt man, wenn über dem Gerüst aus Bassdrums und kantigen Snares bei „Revolt Dx“ die ersten Synth-Flächen auftauchen und den ersten Hauch von Maschinen-Soul in die 4/4-Szenerie bringen.

Jene Gleichzeitigkeit von atmosphärischen Flächen und einer subtilen und zugleich sehr funky programmierten Rhythmik durchzieht die Platte wie ein Leitmotiv. Hier scheint tatsächlich kein einziger Ton überflüssig zu sein, genausowenig wie er verzichtbar scheint. Die Tracks strahlen in ihrer soundtechnisch überlegenen Selbstgenügsamkeit fast schon Ruhe aus und müssen nicht zwanghaft verdichtet werden, um sie mit konstruierten Höhepunkten anzureichern. Das würde der Platte, die trotz des Eskapismus im Titel vielmehr apollinischer als dionysischer Natur ist, nicht gerecht werden.

Immer wieder staunt man, mit welcher Kunstfertigkeit Conforce seinem Maschinenpark genau die richtigen Synergien entlockt. „Shadows Of The Invisible“ funktioniert gleichermaßen als emotional-verträumte Hymne als auch als treibender Techno-Track. Beim schwelgerischen „Timelapse“ begegnen sich Ambientflächen und ein in seiner Reduktion kaum wahrnehmbarer Breakbeat. Mit „Within“ folgt der energetischste Track des Albums, der die bestechenden Trümpfe von „Escapism“ noch einmal summiert: Die distinguierte Auswahl an Sounds – und sei es nur eine simple Hookline – ist purer ear candy und geht mit den kunstvollen Drumpatterns eine äußerst glückliche Ehe ein. Es wohnen zwei Seelen in der Brust dieser Platte: Eine für Präzisionsmechanik, die andere für Romantik.

Preview:

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Tracklist:

  1. Revolt DX
  2. Escapism
  3. Elude
  4. Lonely Run
  5. Shadows of the Invisible
  6. Timelapse
  7. Within
  8. Aquinas Control
  9. Ominous
  10. Diversion