Machen Filme schwul?

Wir glauben, dass wir in einer toleranten Gesellschaft leben. Zum Christopher Street Day drängen halbnackte Homosexuelle und Transsexuelle auf die Straßen und werden beklatscht und beglotzt. Doch die Begründung der FSK, den Film „Romeos… anders als du denkst“ erst ab 16 Jahren freizugeben, zeigt, wie wenig „normal“ Homosexualität und Transsexualität manchmal noch ist.

Das Spielfilmdebüt der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin Sabine Bernardi zeigt einen jungen Mann, der mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde und auf dem Weg ist, sein wahres Ich zu finden. Der Filmverleih hatte für den Film eine Altersfreigabe ab 12 Jahren beantragt. Doch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) entschied, dass der Film erst ab 16 Jahren gesehen werden darf. Man könnte nun annehmen, dass dies angesichts der Darstellung exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums und einiger Nacktszenen zu rechtfertigen wäre. Doch die offizielle Begründung der FSK zielt in eine ganz andere Richtung, denn darin schreibt sie, dass „die Schilderung einer völlig einseitigen Welt von Homosexualität im Film […] zu einer Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung führen“ könne. Das wollen wir mal sehen!

Lukas und Fabio lernen sich kennen

Lukas, die Hauptfigur des Films, ist 20 und wurde als Miriam geboren. Der weibliche Körper ist nicht der richtige für ihn, so dass er verbissen auf eine biologische Geschlechtsumwandlung hinarbeitet. Als Lukas seine Zivildienststelle in Köln antritt, haben Hormonpräparate und regelmäßiges Krafttraining äußerlich einen Mann aus ihm gemacht. Fast: Neben weiblichen Genitalien ist auch noch die Brust geblieben, die er unter drei Lagen Kleidung versteckt. Schwimmen im Freibad, leicht bekleidetes Tanzen in der Disko und engerer Körperkontakt – all das ist für Lukas tabu, denn er hat Angst aufzufliegen. Dennoch stürzt er sich mit seiner lesbischen Freundin Ine in die Kölner Homoszene, wo er sich in den Aufreißer Fabio verliebt. Doch Lukas Konflikt mit dem eigenen, „falschen“ Körper lässt das beidseitige Begehren unbefriedigt und führt zu Frustration.

Lukas und sein Bart

„Romeos“ überzeugt vor allem aufgrund seiner Vielschichtigkeit. Konfliktfelder wie Freundschaft, Liebe und Sexualität werden berührend authentisch, teilweise schockierend dargestellt. Der Film gewährt tiefen Einblick, wie ein transsexueller junger Mann seine Identität findet und erste sexuelle Erfahrungen mit dem veränderten Körper sammelt. Trotz der Ernsthaftigkeit der Problematik verleiht die richtige Portion Humor dem Film den nötigen Unterhaltungswert, der den Zugang zum Thema erleichtert. So fragen die Jungs im Wohnheim beim Abendbrot den mittlerweile enttarnten Lukas: „Ey Lukas, willst du auch ’ne Nudel?“. Der größte Teil der anderen Witze geht aber auf Kosten der wenigen heterosexuellen Charaktere.

Lukas ist nass geworden

Ist so ein Film nicht für 12-jährige geeignet? Dass ein Mann Vagina und Brüste hat und einen anderen Mann liebt, könnte auf 13-jährige Zuschauer natürlich befremdlich wirken. Mit Phrasen wie „Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung“ aber hat die FSK sprachlich komplett daneben gegriffen. Das liest sich so, als ob die FSK ein Problem damit hätte, dass der Film jugendliche Zuschauer „schwul“ oder transsexuell machen könnte. Viele Lesende haben diese Stellungnahme so ausgelegt – was sich in der breiten Empörung im Netz widerspiegelt. Nun hat die FSK darauf reagiert und entschuldigt sich in einer weiteren Stellungnahme, die BLN.FM vorliegt, für „diskriminierende Formulierungen“. Doch die Alterseinstufung FSK 16 bleibt. In der offiziellen Begründung heißt es nun: „Bewusst stellt der Film dabei Fragen, ohne vorgefertigte Antworten zu geben. Zuschauerinnen und Zuschauer sind ab 16 in ihrer persönlichen Entwicklung soweit, dass sie diese Unsicherheiten souverän gemeinsam mit der Hauptfigur Lukas bearbeiten können. 12-Jährige allerdings sind mit dieser Aufgabe überfordert. “

Die Aussagekraft dieses Falls beschränkt sich nicht auf die FSK, sondern ist vielmehr symptomatisch für die latente Trans- und Homopobie unserer Gesellschaft. Trotz plakativer Toleranz ist in vielen Köpfen die Einteilung in „normal“ und „unnormal“ noch nicht beseitigt. Die nachträgliche Entschuldigung der FSK war notwendig, macht aber keinesfalls bereits Gesagtes ungeschehen. Steht darin nicht das alte Urteil, nur diesmal geschickter in politisch korrekter Wortwahl ausformuliert?

„Romeos… anders als du denkst“, Drama, Deutschland 2011, ab 8. Dezember im Kino zu sehen u.a. im  CinemaxX Potsdamer Platz, Potsdamer Platz 5, Berlin-Tiergarten, S-Bahn / U-Bahn: Potsdamer Platz

(Rosa Peschken, Arne Markuske, Alexander Koenitz)