Extrawelt – In Aufruhr

Dass erste übergroße Hits sich nicht selten als Bürde erweisen, ist kein Geheimnis. Für „Soopertrack“ von Extrawelt schien diese Prognose anno 2005 wahrscheinlich. Mit seinem hypnotisch-rollenden Basslauf war dies einer jener Tracks, an denen man sich niemals satt hört und der sich sofort unweigerlich ins musikalische Gedächtnis brennt. Extrawelt sind der „One Hit Wonder“-Falle glücklicherweise entgangen und haben mit späteren EPs auf Labels wie Traum Schallplatten und Cocoon immer wieder Qualität abgeliefert und weiter an ihrem Soundentwurf gefeilt. Ihre Livesets, welche Arne Schaffhausen und Wayan Raabe bald über die globale Route des Techno-Jetsets führten, stützten das Bild einer überzeugenden klanglichen Vision hinter ihren von Ibiza bis New York gefeierten Tracks.

Die bewährten Stärken ihrer Sound-Architektur kommen auch auf „In Aufruhr“, ihrem zweiten auf Cocoon veröffentlichten Album, zum Tragen. Extrawelt bedienen sich der Funktionalität von Minimal Techno ohne sich dogmatischen Codes zu verpflichten. Was ihren Sound auszeichnet, ist der klangliche Reichtum aus Elektro-Fragmenten im klassischen Sinn der 1980er sowie progressiven Sounds. Letztere beziehen sich dabei auf keine Tradition, sondern ziehen ihren Reiz gerade daraus, dass sie klingen, als seien sie den Effektgeräten zum ersten Mal entlockt worden. Aus discoider Tradition und Futurismus bauen Extrawelt catchy Melodien und Basslinien mit einem Überbau aus atmosphärischen Padsounds, düsteren Synths und IDM-artigen Modulationen.

Der Opener „The Next Little Thing“ passt mit seinen unterkühlten Arpeggi und mysteriösen Flächen perfekt auf den Score des nächsten James Bond Films. „Division Dunkel“ ist mit brodelnden, mächtigen Bässen ein typischer Extrawelt-Track zwischen Euphorie und Düsternis. Als effizientestes DJ-Material tut sich „Blendwerk I“ mit seinen erhabenen Synths, kantig-treibenden Beats und einer verzerrten Bassline hervor. Leider gelingen den beiden nicht nur solche Tracks. „Swallow the Leader“ schielt ebenfalls auf den Floor und wird dort zweifellos seine Wirkung entfalten, die übliche Knarz-Synthie-Melodie hat man aber gerade auf Cocoon schon gefühlte hundertmal gehört. In der Folge stehen neben soliden 4/4-Tracks eine Reihe experimenteller Stücke mit gebrochenen Beats und reduziertem Tempo. Hier spielen Extrawelt mit Soundideen, Rhythmus-Miniaturen und Atmosphären und zeigen sich von einer bis dato unbekannten entschleunigten Seite. Leider schwächelt die Platte streckenweise ausgerechnet hier sehr deutlich. Das „Tempo-raus“-Gebot macht noch lange keine spannenden Tracks, nur weil die gerade Bassdrum fehlt.

Mit „808 Slate“ etwa wandeln Extrawelt auf IDM-Spuren, was leider etwas unbeholfen und zwanghaft avantgardistisch wirkt. Allzu häufig hat man in der zweiten Hälfte der Platte das Gefühl, dass hier mit einer Palette möglichst artifiziell-intelligenter Sounds getrickst werden soll, ohne dass diese wirklich in den Strukturen der Tracks verwurzelt sind. Wenn man noch so progressive Sounds über hölzerne Breakbeat-Gerüste legt, gedeihen diese nicht besonders gut. Ein Dilemma für den Hörer: Einerseits gibt es immer wieder Momente lichter Schönheit und des Staunens über die enorme klangliche Raffinesse, andererseits ärgert man sich streckenweise über die Wahllosigkeit, mit der die Tracks mit Soundideen beladen werden. Mit „Herz aus Blech“ zeigen Extrawelt, wie es besser geht: Hier dominiert eine Konzentration auf wenige rhythmische und melodische Motive, überlagert von einem schlichten Pianoakkord, der in seinem bleibenden emotionalen Nachhall jedoch den ganzen Track mit einem wundervollen Sentiment von Spannung und Erwartung auflädt. Einen bleibenderen Nachhall hätte auch „In Aufruhr“ erzeugt, wenn man sich mit 10 der 14 hier versammelten Stücke begnügt hätte. Da die in der Mehrheit überzeugenden Tracks die Konkurrenz jedoch immer noch hinter sich lassen, sind solche Ausfälle verschmerzbar, auch wenn die Platte nur streckenweise in euphorische Aufruhr zu versetzen mag.

Preview:

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Tracklist:

  1. The Next Little Thing
  2. Division Dunkel
  3. Blendwerk I
  4. Leave 43 (Neverlasting Edit)
  5. Aufwind
  6. Herz aus Blech
  7. Pontiac
  8. Swallow the Leader
  9. 808 Slate
  10. Blendwerk II
  11. Phoebe
  12. Dumb Age
  13. Die Welt Ist Nicht Genug
  14. Schlusslicht

(Cocoon Recordings)