Ein Glück leben wir in Deutschland mit der Gewissheit, dass die wilden Siebziger auch hinter der Mauer wild waren. Auch unter repressiven politischen Bedingungen gab es Musiker, die mit ihren Worten und Melodien etwas verändern wollten. Doch von dem, was im fernen, großen Russland hinter dem Eisernen Vorhang vor sich ging, wissen wir so gut wie gar nichts. Und tatsächlich kennen die wenigsten in Deutschland einen der bekanntesten und gefeiertsten Liedermacher der UdSSR in den 1970er-Jahren. Gut, dass jemand einen Film über ihn gemacht hat!
Vladimir Wyssozki war der Führung der Sowjetunion ein Dorn im Auge. Obwohl seine Platten beim staatlichen Melodija-Label verlegt wurden, fanden seine Konzerte in der Halblegalität statt, seine Gedichte wurden nicht offiziell veröffentlicht. Enorme Popularität erlangte er durch illegale Mitschnitte seiner Konzerte, auf denen er kein Blatt vor den Mund nahm. Diese Mitschnitte kursierten massenhaft in der Bevölkerung.
Derzeit läuft in Berliner Kinos ein Film über den russischen Liedermacher. “Wyssozki – Danke für mein Leben” ist kein gewöhnliches Künstlerporträt, obwohl es zunächst stark danach aussieht. Da haben wir den melancholischen verschlossen Künstler, der drogenabhängig und dadurch körperlich ziemlich am Ende ist. Trotzdem will er weiter auftreten und beschließt, eine riskante Tournee nach Usbekistan anzutreten. Dort überschlagen sich die Ereignisse.
Wyssozki ist ein aufopfernder Künstler, der allein mit seiner Gitarre, seiner tiefen ausdruckssarken Stimme und seinen Liedern begeistert. Die erzählen Privates vom Leben und der Liebe. Aber sie erzählen auch von Prostitution und Antisemitimus, die offiziell in der Sowjetunion nicht existierten. Die Aufopferung für sein Publikum geht sogar soweit, dass er bereit ist, auf der Bühne zu sterben: Am Ende seiner Kräfte steht er schweißgebadet beim Konzert mit stechenden Schmerzen und brüchiger Stimme im Scheinwerferlicht. Um ihn herum ein kleiner Stab von Freunden und Nutznießern: Während sein Künstlerkollege Vsjevolod und seine Lebensgefährtin Tatjana versuchen der Selbstzerstörung Einhalt zu gebieten, verdienen andere gut an ihm oder bespitzeln ihn für den KGB. Der beobachtet Wyssozki wegen illegaler Konzerte. In dunklen, verrauchten Abhörszenen verfolgen die KGB Agenten die Ereignisse und ziehen im Hintergrund ihre Fäden.
So entpuppt sich “Wyssozki – Danke für mein Leben” als seltsamer Stilhybrid. Auf der einen Seite steht das melancholische Porträt des Künstlers, dass jedoch nicht wie gewöhnlich von Aufstieg und Fall, sondern Fall und Wiederauferstehung berichtet. Auf der anderen Seite mutet er durch Verfolgungs- und Abhörszenen und dem Einsatz dramatischer Musik wie ein Agententhriller an. Lange Autofahrten durch die usbekische Wüste erinnern gar an ein Roadmovie. Durch diese Kombination versucht Regisseur Piotr Buslow die dramaturgischen Schwächen galant zu übergehen, obwohl damit die Authentizität des biographischen Stoffes in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die Botschaft jedoch bleibt – und wird durch die Mischung aus Fakt und Fiktion gelungen vermittelt. Wyssozki und seine Freundin erscheinen als eine Insel aus Liebe und Ehrlichkeit inmitten des Intrigenapparats aus Geldgier, Korruption und Oligarchie. Das Drehbuch schrieb schließlich Wyssozkis Sohn. Und doch stimmt das Ende versöhnlich: da entpuppen sich fast alle Charaktere, wenn nicht als moralisch integre, dann doch als mitfühlende Wesen. Diese Wandlung auch der KGB-Ermittlers Viktor Bechtejev, der Wyssozki auf der Fersen ist, ihn jedoch am Ende doch laufen lässt, erinnert stark an den Stasi-Film “Das Leben der Anderen”.
Man kann bei diesem Film den Eindruck nicht abschütteln, dass man viele Motive und Einstellungen schon einmal gesehen hat. Aber was überzeugt, ist die Kombination der Genre-Elemente und die sehr gute schauspielerische Leistung. Das macht den Film emotional und bildgewaltig, düster, exotisch und verdammt spannend. Auf seine Art einfach ganz großes Kino.
„Wyssozki“, Biographie, 120 min., Russland 2011, seit 1. Dezembert im Kino zu sehen u.a. im CinemaxX Potsdamer Platz, Potsdamer Platz 5, Berlin-Tiergarten, S-Bahn / U-Bahn: Potsdamer Platz