Die New Yorker Jahre des Dissidenten

Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei darf China noch nicht verlassen. Seine Kunst hingegen schon: Seit Oktober 2011 sind einige Arbeiten im Martin Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Es handelt sich um Fotoserien, die Ai Weiwei während seines Studienaufenthalts 1983 – 1993 in New York aufnahm, wo die künstlerische Laufbahn des mittlerweile wohl bekanntesten chinesischen Künstlers begann. Zu sehen sind persönliche Erfahrungen und Eindrücke, stille und persönliche Momente, aber auch Demonstrationen, Proteste, Polizeigewalt, Armut und Künstleralltag in der liberalen Stadt New York in schwarzweiß.

In New York lernte Ai den von Joseph Beuys erweiterten Kunstbegriff der „Sozialen Plastik“ kennen, der Ais damaliges fotografisches Schaffen inspirierte. Der Begriff sagt: Jeder Mensch kann ein Künstler sein und bei der Gestaltung der Gesellschaft kreativ mitwirken. Kunst ist nicht nur das Objekt, das im Museum steht. Auch Marcel Duchamps Vorschlag der Konzeptkunst beeinflusste Ai. Demnach sind Konzept und Idee wichtiger, als die Ausführung des Kunstwerkes selbst, die nicht einmal durch den Künstler selbst geschehen muss.

Heute lebt Ai Weiwei in Beijing – und kämpft mit den chinesischen Behörden. Die Polizei nahm ihn Anfang April 2011 wegen Steuerhinterziehung fest und inhaftierte ihn 81 Tage lang an einem unbekannten Ort. Nach offiziellen Angaben soll Ai Steuern hinterzogen haben, die geforderte Summe beläuft sich mittlerweile laut Medienberichten auf 1,7 Millionen Euro. Sollte er nicht zahlen, drohen ihm sieben Jahre Haft. Zu seiner Unterstützung spendeten zahlreiche Menschen Geld, die meisten Unterstützer kamen aus China selbst. Weil Ai Weiwei keinen Besuch empfangen darf, warfen sie die Spenden über den Zaun um sein Haus. Bis Mitte November waren Spenden in Hohe von rund 1 Million Euro zusammengekommen.

Im Raum steht der Verdacht, dass der Grund für die Vorwürfe nicht unbezahlte Steuerbescheide waren, sondern die künstlerisch-subversiven Aktivitäten Ai Weiweis. Einen Ausschnitt seines Schaffens kann man nun, abseits der politischen Berichterstattung, selbst in Augenschein nehmen. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. März 2012 zu sehen.

Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, Berlin-Mitte, S+U Bahn: Potsdamer Platz