Liebe und Rauch

Wahre Künstler haben es nicht leicht. Das war zu allen Zeiten so und wird wohl auch immer so sein: Wenig Geld, wenig Anerkennung und dann noch das Unverständnis der Anderen. Wahre Künstler leben in ihrer eigenen Welt.

So geht es auch Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric), des Protagonisten in „Huhn mit Pflaumen“, des neuen Filmes von Marjane Satrapi („Persepolis“). Er ist ein begnadeter Violinist und lebt im Teheran der 1950er. Seine Ehe ist unglücklich und zu allem Übel ist er auch noch unsterblich in seine Jugendliebe Iran (Golshifteh Farahani) verliebt. Und das schon sein halbes Leben lang! Allein das Geigenspiel bietet ihm die Gelegenheit, seiner verlorenen Liebe zu nachzutrauern und von ihr zu träumen.

Huhn mit Pflaumen

Dabei vergisst Nasser Ali jedoch seine eigentliche Familie: die Frau, die er nie geliebt hat und seine Kinder, die ihm unähnlicher nicht sein könnten. Schließlich geht bei einem  Streit mit seiner Ehefrau seine innig geliebte Geige zu Bruch. Nasser Ali verliert damit seinen Lebenssinn, denn kein anderes Instrument kann ihm den Klang seiner Violine ersetzen.

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Sich selbst bemitleidend, malt er sich verschiedene Wege aus, seinem Leben ein Ende zu setzen – doch nichts scheint ihm angemessen. Diese morbide Thematik wird in einer kurzen Sequenz sehr amüsant dargestellt. Rauchringe blasend und ins Leere starrend wartet er auf den Tod. Nicht einmal sein einstiges Leibgericht „Huhn mit Pflaumen“ kann ihn aus dieser Melancholie reißen.

Nach ihrem erfolgreichen Debüt 2007, dem Animationsfilm „Persepolis“, wagten Marjane Satrapi  und Vincent Paronnaud einen Spielfilm. Dabei ist „Huhn mit Pflaumen“, trotz nur weniger Animationssequenzen um einiges märchenhafter als der vorangegangene Film. Satrapi selbst verließ während der Islamischen Revolution den Iran und ging nach Europa. Wie auch schon in „Persepolis“ verarbeitet Satrapi auch in diesem Film eigene Erfahrungen und Empfindungen. Der Schmerz über das ewige Exil und der Verlust von Heimat und Kultur spiegeln sich metaphorisch in „Huhn mit Pflaumen“ wieder: Nasser Alis verlorene Jugendliebe trägt daher nicht ohne Grund den Namen Iran. Es ist die Geschichte einer tragischen Liebe, die nie gelebt werden konnte. So zieht sich das Motiv des schmerzhaften Verlusts und der Vergänglichkeit von allem durch den ganzen Film.  Das Vanitas-Motiv wird hier durch sich verflüchtigenden Rauch in allen Variationen von Zigaretten und Opium-Pfeifen dargestellt. Es gibt daher fast keine Einstellung, in der nicht geraucht wird, für uns mittlerweile ein sich selten bietendes Bild.

Am Ende steht der Tod Nasser Alis. Jeder Tag bis dahin wird in einzelnen Kapiteln erzählt, die jeweils von einer Person aus seinem Leben handeln. Wichtige Schlüsselfiguren wie seine Frau, seine Mutter, seine Kinder und sein Bruder werden vorgestellt. Zum Ende hin führt Nasser Ali sogar Zwiegespräche mit den Erscheinungen von Sokrates und Azrael, dem Todesengel. Es sind die vielen kleinen, visuell ansprechenden und ineinander verschachtelten Episoden, die „Huhn mit Pflaumen“ so sehenswert machen.

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Visuell erinnert der Film oft an einen Comic. Auf einen solchen basiert er auch: die Farbkompositionen folgen, wie auch das Wetter, der Gefühlslage der Protagonisten. Die Bilder setzen Hell und Dunkel effektvoll in Kontrast. Surreale Traumsequenzen, aber auch das Overacting der Schauspieler grenzen nicht selten an Kitsch, wenn auch geschmackvollen. Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud ist mit ihrem gemeinsamen Zweitwerk eine zauberhafte Mischung aus Spiel- und Animationsfilm gelungen. Die Grenzen zwischen Realität und scheinbar halluzigenem Wahnsinn verlaufen hier fließend. Dabei weist der Film latent aber beständig darauf hin, dass nur die unerfüllte Liebe eine ewig romantische ist. Und das meint nicht nur die Liebe zwischen Menschen. Analog zum Filmtitel „Huhn mit Pflaumen“ kann dieser Film mit einem gelungenen Gericht verglichen werden: ästhetisch angerichtet, sinnlich, interessant und bittersüß im Nachgeschmack.

Huhn mit Pflaumen (Originaltitel: „Poulet aux prunes“), Drama, 91 min., Frankreich/Deutschland/Belgien 2011. Im Kino seit 5.1.2012.: Hackesche Höfe Kinos (OmU), Filmtheater am Friedrichshain