Blattgold ist so dünn wie Luft und zugleich eines der wertvollsten Metalle der Welt. Es ist empfindlich, die kleinste Bewegung zerstört seine Form. Es ist zeitlos, zehrt vom Alten wie vom Neuen. Es ist komplex. – Mit diesem poetischen Prolog leitet Jacaszek sein siebtes Studioalbum „Glimmer“ ein, dessen Cover von einem Hauch von Edelmetall geziert wird. Und wie klingt nun Blattgold?
Die erste, mikrometerdünne Schicht klingt nach Computermusik, nach Rauschen, Klirren, Dröhnen, Klicken und Hall – gewohnt subtil, gewohnt erregend. Die zweite Schicht trägt Jacaszek etwas dicker auf: Cembalo, Streicher und Bassklarinette fangen die Elektronik tonal auf und schöpfen daraus orchestrale Stücke. Für die meisten Hörer wäre an dieser Stelle klar: wir haben es mit Neo-Klassik, zeitgenössischer, elektroakustischer Musik zu tun. Nicht für Jacaszek. Denn auf „Glimmer“ verfolgt er das Konzept, das er während des diesjährigen Club Contemporary Classical (C3) Festivals vorstellte. Seine Musik soll keine Form zeitgenössischer Musik darstellen, die sich Elementen alter Musik bedient. Vielmehr möchte er zu der Entwicklung eines neuen Genres beitragen, das die Grenzen zwischen neuer und alter Musik verschwinden lässt; also eine Legierung aus diesen Richtungen schaffen, die an neuem, musikalischem Wert gewinnt.
Nun aber die schlechte Nachricht: Dieser musikalische Plan, den Jacaszek verfolgt, ist zumindest auf diesem Album gescheitert. Die neun Stücke bedienen sich traditionellen Elementen elektroakustischer Musik – neu ist an dem Konzept höchstens die außergewöhnliche Instrumentation. Es ist stets eine Naht zwischen den barocken und den elektronischen Komponenten der Stücke zu erkennen, die zwar so fest ist, dass sie nicht gelöst werden kann, aber dennoch wahrnehmbar bleibt. Dies soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Glimmer“ ein cineastischer Geniestreich ist, der beflügelt und jeden Raum in eine mystische Überwelt verwandelt. „Goldengrove“ greift den textlichen Prolog im Booklet auf und führt die Instrumente einzeln ein. „Evening Strains To Be Time’s Vast“ rollt das Cembalo elegant in den Hintergrund und verschafft sich so Platz für ausuferndes Dröhnen und Noise. „As Each Tucked String Tells“ entführt uns kurz vor Schluss auf einen nervenaufreibenden Ausflug, auf dem die Cembalosaiten ein sonderbares Eigenleben entwickeln, während letzlich der von der Klarinette dirigierte Epilog „Windhover“ für einige Minuten die Möglichkeit der Erholung vor atmosphärischer Klangkulisse bietet.
„Glimmer“ schließt musikalisch an die Vorgänger „Pentral“ (2009) und „Treny“ (2008) an und manifestiert die musikalische Phonologie Jacaszeks, die zwar nie eine bahnbrechende ist, dafür allerdings stets mehr als nur golden schimmert.
Preview:
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Tracklist:
- Goldengrove
- Dare-gale
- Pod Swiatlo
- Evening Strains To Be Time‘s Vast
- Seiden Stille
- What Wind-Walks Up Above
- Only Not Within Seeing Of The Sun
- As Each Tucked String Tells
- Windhover