Ein Schornstein qualmt, startende und landende Flugzeuge durchkreuzen den Himmel, und weiter unten rauschen Züge im Zeitraffer über die Schienen. Im Hintergrund hört man, wie jemand eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter hinterlässt. Und noch jemand. Und während man erkennt, dass die Kamera nichts weiter tut, als verschiedene Bereiche des immer gleichen Ausblicks auf die Welt vor dem Fenster einzufangen, verlassen die Botschaften den Hintergrund und rücken ins Zentrum des Films.
Die Nachrichten vom Tonband richten sich alle an dieselbe Person, doch diese bleibt gestaltlos und außer Reichweite. Denn auch wenn sich aus den Informationen der Anrufenden nach und nach ein Bild in der Vorstellung der Zuschauer formt, tritt der Angerufene nie in Erscheinung. Man kann ihn höchstens erahnen, wenn sich seine Silhouette unscharf in der Fensterscheibe spiegelt.
Filme erzählen für gewöhnlich Geschichten. In Thomas Imbachs Dokumentarfilm „Day is Done“ sind es aber nicht allein Bilder oder Worte, aus deren Summe sich die Erzählung entfaltet. Die Botschaften auf dem Band schreiben nur die halbe Geschichte, der Rest entwächst der Phantasie des Zuschauers. Der wird gewissermaßen selbst zum Autor des Geschehens.
Der Schweizer Thomas Imbach bezeichnet seinen Film als „fiktive Autobiografie“. Die im Film zu hörenden Anrufe richten sich an ihn persönlich. Die Botschaften hat er über einen Zeitraum von 15 Jahren gesammelt, die Welt vor seinem Atelierfenster gefilmt. Doch statt nur das private Leben des Regisseurs zu dokumentieren, will „Day is Done“ eine allgemeingültige Geschichte erzählen: der Verlust, den der Protagonist „T.“ durchlebt, als auch seine sonstigen Erfahrungen sollen genauso die eines jeden Zuschauers sein können. Imbach will „das radikal Allgemeine im radikal Individuellen“ zeigen.
Es ist faszinierend, wie vielseitig sich in diesem Film der Blick aus ein und demselben Fenster präsentiert. Die Aufnahmen der 35mm-Kamera variieren zwischen der Aussicht in der Totalen und Detailaufnahmen einzelner Gebäude, Ereignisse oder Personen. Bei manchen Nahaufnahmen fühlt man sich als Voyeur, der heimlich das Objekt seiner Begierde ausspioniert. Kurze Zeit später hingegen ist man wieder ein unbeteiligter Beobachter, der aus sicherer Distanz auf die Stadt vor dem Fenster blickt und zuschaut, wie das Wetter umschlägt. Manchmal eröffnet die Kamera einen Parallel-Plot zur Geschichte der Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, an anderer Stelle kommentieren die Bilder das Gesagte subtil. Nur ein Mal trägt der Filmemacher zu dick auf: Das Scheitern von T.’s Beziehung wird visuell von einem schweren nächtlichen Gewitter begleitet. Doch auch wenn hier ein Klischee bedient wird: „Day is Done“ ist im Ganzen ein äußerst sehenswerter Film für all diejenigen, die sich auf seine unkonventionelle Erzählweise einlassen wollen.
Day is Done, Dokumentation / Schweiz 2011, 111 Min., ab 01.12.2011 im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Berlin-Tiergarte, U-/S-Bahn: Potsdamer Platz