Tycho – Dive

Sacramento ist nicht gerade der Ort, der mit einer lebendigen Musikszene aufwarten kann. Rockbands wie Papa Roach und Deftones kommen zwar daher und es heißt, Keith Richards wäre hier bei einem Konzert der Rolling Stones fast durch einen Stromschlag ums Leben gekommen. Doch besonders in Anbetracht elektronischer Musik wirkt die kalifornische Hauptstadt wie ein verschlafendes Dorf, verglichen mit den pulsierenden Nachbarn San Francisco und Los Angeles.

Scott Hansen aka Tycho schickt sich an, dies zu ändern. Dass es dazu kommen kann, hat er einem schmerzhaften Missgeschick zu verdanken. In den frühen Neunzigern sollte der junge und sehr nervöse Hansen das erste Konzert mit seiner Band geben. Um sich zu beruhigen, traf er sich vor dem Auftritt mit seinen Freunden zum Essen. Dabei stürzte er und verletzte sich so schwer, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Band spielte ohne ihn und Hansens Genesung dauerte mehrere Monate. In dieser Zeit begann er, sich für Grafikdesign und elektronische Musik zu begeistern, jene zwei Säulen, die heute sein künstlerisches Schaffen prägen. Unter dem Namen ISO50 arbeitete er für Plattenlabels als Designer und auf seinem Blog bietet er neben Musik selbst entworfende T-Shirts und Grafiken an.

So gesehen dürfte es auch nicht allzu sehr verwundern, dass das Cover von Tychos zweitem Album „Dive“, welches jüngst auf Ghostly International erschienen ist, einen selten genauen Eindruck vermittelt, was man zu hören bekommt: sonnengetränkt, verschwommen, wellenartig und in gewisser Weise halluzinierend. Schnell wird klar, in welche Richtung „Dive“ gehen möchte. Auch wenn man gerne die naheliegende Redewendung vermeiden wollte, „in die Musik einzutauchen“, so stellt man doch fest, dass die Assoziation mit Wasser die einzig mögliche ist: Spring hinein und lass dich treiben. Geh mit der Strömung und erkunde die Tiefen.

„A Walk“ gewährt dem Hörer fast drei Minuten, um sich in das Album hineinzufinden, immerzu die Grenzen der Melodie auslotend, während das Schlagzeug kontinuierlich den langsamen Rhythmus vorgibt. Dass – angetrieben von der Gitarre – Synthesizer und Drums doch noch gewaltig an Fahrt aufnehmen, tut der Platte bei all der Verträumtheit sehr gut. „Dive“ wirkt wie ein verhindertes Spätsommer-Album, dass zu spät fertiggestellt wurde. In Interviews sprach Hansen davon, dass Nostalgie ein wichtiger Bestandteil von „Dive“ sei. Die Single-Auskopplung „Hours“ vermittelt diese Grundstimmung aufschlussreich: oftmals repitativ, meist ohne dabei langweilig zu werden. Ein handfester Rhythmus, dazu entfernt wirkende Keyboard-Loops, die zwischen „Ambient“ und „atmosphärisch“ verlaufen. Auch wenn die warmen Gitarrenriffs einen sonnigen Eindruck hinterlassen, so ist doch auch eine Menge Melancholie spürbar. Und wann blickt man schon mal so gerne auf die Vergangenheit zurück wie im dunklen November?

Dennoch hat auch „Dive“ seine Schwächen: „Ascension“ beispielsweise überschreitet die feine Linie zwischen repitativ und monoton fast schon selbstgefällig. Und „Adrift“ täte ein ausdrucksstarkes Crescendo möglicherweise besser, als über sechs Minuten um die selbe Melodie zu tingeln. Doch da alles Leben stetig beschleunigt und Musik aus immer kleineren Fetzen zusammengebastelt wird, tut es gut, mal in einer eigenen Klangwelt zu schwimmen. Wer nach basslastigen Songs und tanzbaren Tracks sucht, ist hier definitiv am falschen Ufer. Aber wer sich einfach mal 50 Minuten ausruhen und nichts machen will, für den könnte Tychos „Dive“ genau das richtige Album sein.

Preview:

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Tracklist:

  1. A Walk
  2. Hours
  3. Daydream
  4. Dive
  5. Costal Break
  6. Ascension
  7. Melanine
  8. Adrift
  9. Epigram
  10. Elegy

(Ghostly International)