Berliner Visionäre: Reich und sexy

Mutti darf wieder ran - Klaus Wowereit nach der WiederwahlKlaus Wowereit bleibt Regierender Bürgermeister – letzte Woche ist er mit satter Mehrheit wiedergewählt worden. Schon ist wieder alles beim Alten. Oder doch nicht? Schließlich dient jetzt als als Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer statt der Linkspartei die bürgerliche CDU mit Frank Henkel an der Spitze.

Zehn Verhandlungsrunden brauchte es, bis die Koalitionsvereinbarung fest stand. Sie gibt vor, in welche Richtung der Berliner Senat seine Politik in den nächsten fünf Jahren zu steuern gedenkt. Die Aufgabenliste für die neue Stadtregierung ist lang, wenn die Stadt das bleiben soll, was sie ist. Der Ruf als preiswerte Kulturmetropole, in der sich genug Nischen für Experimente finden lassen, ist in Gefahr. Die Kulturausgaben sinken, die Lebenshaltungskosten und die Mieten ziehen an, Stadtviertel werden durch Neubewohner mit Amtshilfe lärmberuhigt.

Dabei bringt die „Berliner Freiheit“ viele Menschen aus aller Welt als Kreative und Touristen in die Stadt. Allein die Berliner Clubszene als Teil der Berliner Musikwirtschaft setzt jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro um. Da freut sich auch das Finanzamt. Und Geld, das geben die Koalitionäre unumwunden zu, braucht die Stadt ganz dringend: 62 Milliarden Euro Schulden sind über die Jahre zusammengekommen. Da bleiben nicht viele Möglichkeiten, die Infrastruktur der Stadt aus eigener Kraft weiterzuentwickeln, stattdessen werden private Investoren herangeholt. Und die setzen gern ihre eigenen Interessen durch – so lief es in den letzten Jahren, so wird es wohl auch die nächsten fünf Jahre sein. Die Unterstützung des Mediaspree-Projektes im Koalitionsvertrag bringt die Tatsache zu Papier.

Geld für Stadtschloss und Autobahn

Doch die neuen Koalitionäre investieren auch selbst: ein bisschen Geld für den Berliner Anteil des neobarocken Stadtschlosses mit Humboldt-Forum und auch ein paar Millionen für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek am geschlossenen Flughafen Tempelhof. Auf dem Plan steht allerdings auch die umstrittene Autobahnverlängerung der A100: wollte die SPD mit den Grünen den Beton nur verbauen, wenn es wirklich keine Alternative gegeben hätte, möchte sie jetzt zackig mit den Bauarbeiten beginnen.

Der Spirale der steigenden Mietkosten wollen Wowereit & Henkel beikommen, indem pro Jahr 6000 neue Wohnungen gebaut und die Zahl der Wohnlätze in Studentenwohnheimen erhöht werden sollen. Mietpreise sollen nicht mehr so schnell steigen dürfen, nämlich nur noch um maximal 15 Prozent innerhalb von vier Jahren. Die Nutzung normaler Mietwohnungen als Ferienwohnungen soll weiter erschwert werden. Die kreative Nutzung von Freiflächen und Gebäuden soll erleichtert, der Lärmschutz überarbeitet werden. Mit Kleinstkrediten sollen nicht nur migrantische Kleinunternehmer gefördert werden, sondern auch Kreative. Und um schließlich den Piraten schon vor Beginn ihrer ambitionierten Netzpolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen, kündigen die Koalitionäre ein kostenfreies WLAN für Berlin an. Die Idee wurde allerdings erst vor ein paar Jahren von der ehemaligen Senatorin für Stadtentwicklung (SPD) schon einmal begraben – warum sollte es diesmal klappen?

Kommt das Berliner „Musicboard“?

Besonderes Augenmerk liegt aber auf einem Satz am Ende der Koalitionsvereinbarung. Hier wird die Gründung „Musicboards“ verkündet, um Clubs, Musikschaffende und Labels unter einem Dach zu vereinen. Ähnlich wie die Filmproduktion soll die Musikkultur in Berlin gefördert werden. Doch wie das geschehen soll, ob’s Geld zu verteilen gibt oder nur warme Worte und geduldiges Papier –  das steht nicht in der Vereinbarung. Doch schon vor der Veröffentlichung des jetzigen Vertrages, als die Berliner Clubcommision das Konzept „Muiscboard“ vorschlug, diskutierten Berlins Musikschaffende und Clubbetreiber: Ist Clubkultur Hochkultur? Sollte Clubkultur deswegen subventioniert werden? Verliert die Clubszene ihre Unabhängigkeit? An’s Licht kam vor allem Uneinigkeit in allen Fragen bei den Betroffenen selbst.

Die mögliche Ausrichtung eines solchen „Musicboards“ dürfte in den kommenden Monaten weiter in der Diskussion bleiben. Das Ziel soll sein, Voraussetzungen zu schaffen, um die Berliner Musikbranche zu fördern. Ob diese Voraussetzungen darin bestehen können, Steuern für Veranstaltungsorte zu erhöhen, mit dem Bekenntnis zum „Mediaspree“-Projekt Hotelneubauten den Clubs an der Spree vorzuziehen und die Zwischennutzung von Flächen als Grundverständnis Berliner Clubkultur schön zu reden, das ist zu hinterfragen. Es bleibt der Verdacht, dass die Maßnahmen zur Förderung der Kreativ- und Musikwirtschaft nur darauf abzielen, dem Berliner Stadtmarketing schicke Slogans zu liefern um möglichst viel touristisches Geld in die Stadt zu bringen. Dann wird aber die Kommerzialisierung von Kreativität und Ideen der Berliner das Gegenteil dessen bewirken, was die Schaffung vom  „Musicboard“ bewirken sollte. Am Ende steht das Schrumpfen der einzigartigen Berliner Metropolenkultur.