„Schöner Lesen“ zwischen Salami und Schokolade

Das gelbe Ringbahnheftchen

Das Glück ist zuweilen ein launiger Geselle: Von der S-Bahn sehe ich nur noch die Rücklichter. Und mein dummes Buch liegt auf dem Küchentisch. Nichts zu lesen auf der Ringbahn. Toll. Aber da war doch dieser Automat, gleich hier auf dem Bahnsteig. Schokolade, Chips, Gummibärchen, Kaugummis. Und ja, vierte Reihe links sind die gelben Heftchen. Sehen aus wie Reclam-Hefte und kosten nur einen Euro. Hinter der Glasscheibe dreht sich die Spirale. Ich habe die Nummer gedrückt. Den Euro war mir dies schon wert. Das Heftchen fällt hinab und ich greife durch das schmale Fenster in die Ausgabe. Die Spiralen lassen einem keine Wahl. Was vorne steht, fällt einem zu. In meinem Fall ist das “Bdolf – Der dunkelste Planet”.

Der Nächste, der seinen Lesehunger stillen will,  erhält “Marc Degens – The SuKuLTur Years”. Ich bin froh, dass ich diesem Heft knapp entgangen bin. Eine Selbstreflexion der Herausgeber ist mir nicht wichtig. Denn SuKuLTur verlegt die gelben Heftchen. Auch Airen hat hier seine Blogeinträge veröffentlicht, die Helene Hegeman durch geschicktes Copy-Paste-Verfahren in “Axolotl Roadkill” erst richtig bekannt machte. Der Verlag besteht seit 1996 und hat das hehre Ziel einer breiten Öffentlichkeit “hermetische Lyrik, punkige Prosa und abgehobene Science-Fiction” bekannt zu machen. “Die Menschheit sollte lesen, was wir gerne lasen.”, schreiben die Gründer des Verlages über ihren “missionarischen Eifer”.

Der nächste Zug fährt in den S-Bahnhof Neukölln hinein. Es kann endlich losgehen. Das Cover ist gelungen. Es zeigt die stilisierte Zeichnung eines Golfspielers, der statt eines Balls den Kopf eines vor ihm knieenden Menschen abschlägt. Innen finden sich drei Kurzgeschichten und zwei Gedichte von Bdolf. Sie beschreiben kryptisch-futuristische Welten, die immer weiter ins Absurde abdriften. Und doch wirken sie real und tragen immer eine politische Botschaft in sich. Man merkt, hier soll der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten werden. Es gibt leise Kritik an Imperialismus, Kapital und Bourgeoisie. “Die Mission” handelt von einem Zollbeamten, der den Auftrag erhält, die Außenposten der “Republik” zu inspizieren. Er begibt sich daraufhin per Solar-Atom-Flugzeug auf eine unendliche Reise gen Westen, ohne jemals sein Ziel, also die Grenze, zu erreichen. Auf dem Weg gründet er eine Familie und vererbt schließlich, als er bald sterben muss, seine Aufgabe an seinen Sohn.

Das Heftchen ist eine Fundgrube. Die Erzählungen sind hintergründig und vieldeutig in einem Setting, das auch Douglas Adams gefiele. Mich beschleicht das Gefühl, dass diese Literatur perfekt ist, auf Berliner S-Bahnhöfen verkauft zu werden. Sie ist progressiv, absurd und verrückt, ohne jedoch das Bürgerliche grundsätzlich in Frage zu stellen. “Pamela Anderson – flieg dein Nazi-Ufo!!!! […] damit nie wieder ein Gangsterrapper einen deutschen Rentner auch nur scheel ansehen kann”. So klingt im Heft der Appell gegen jedwede Deutschtümelei.

Das gelbe Ringbahnheftchen im AutomatenEin Heft hat zwanzig Seiten und ist in ebensovielen Minuten gut durchgelesen. Im Umschlag gibt es noch eine Übersicht der bisher veröffentlichten Hefte dieser “Schöner Lesen”- Reihe. Es sind  genau hundert an der Zahl, mit weiteren Titeln wie “100 Jahre Rütli”, “Kafka und ich” oder “pop.mitte.berlin”. Der Bezug zur Stadt ist da, aber er wird nicht überstrapaziert. Die Hefte sind insgesamt ein gelungenes Beispiel der Förderung junger Autoren.

Was die SuKuLTur-Gründer jedoch geritten hat, auf ihrer Website in der Rubrik “Über uns” zu berichten, dass aus “ehemals langhaarigen Studenten und Taugenichtsen” nun “kurzatmige Familienväter” geworden sind, bleibt ihr Geheimnis. Als Ergebnis offerieren sie uns als “Leistungsschau” eine Box, die alle hundert Heftchen enthält. Das klingt ehrlich gesagt mehr nach Fahrscheinkontrolle als nach punkiger Prosa.