Neulich hörte ein Freund — nennen wir ihn mal Stefan — einen tollen Track im Internet. „Fetzt“, denkt sich der Freizeit-DJ, der seinen Musikgeschmack gerne mit Mixtapes unter die Leute bringt. Dafür hilft er gern selbst nach: Wenn ein Track zu kurz ist, dann verlängert er den im Audiobearbeitungsprogramm — ist er zu lang, schnippelt er gern mal eine Passage aus dem Track raus. Er hat auch schon mal ausprobiert, zwei komplett unterschiedliche Songs und Tracks übereinander zu legen: Mashups können rocken, Soulwax und Bootie Berlin machen es vor!
Die Idee ist verlockend, auf diese Art und Weise den ultimativen Partytrack zu produzieren. Aber Stefan lebt gefährlich und sollte lieber weiter im Verborgenen werkeln, statt seine Ergebnisse auf Soundcloud oder Youtube veröffentlichen. Denn Rechtsanwälte, Musikverleger und manche Künstler sehen so ein Treiben gar nicht gern: Für sie verletzt der findige Remixer etwas, dass sie als ihr Eigentum betrachten!
Wer sich eine neue Melodie ausgedacht hat, ist fürs Gesetz „Schöpfer“ eines Musikstückes. Viele meinen sogar, dass dadurch so etwas wie „geistiges Eigentum“ entsteht. Und damit darf der „Schöpfer“ machen, was er will: abwandeln, als Klingelton verkaufen oder auch einfach geheim halten. Schließlich ist sie oder er derjenige, der viele Stunden Arbeit reingesteckt hat. Wenn man es genau nimmt, dann heißt das: Niemand darf etwas ändern, ohne dass der Künstler sein Okay gibt. Das ist die Theorie. Strikt ausgelegt bedeutet das für Stefan: Wenn er nicht die Genehmigung vom Autoren oder seiner Vertreter eingeholt hat, die Musikstücke zu bearbeiten und zu ändern, dann ist er ein Rechtsbrecher — selbst dann, wenn er kein Geld damit verdienen will.
Ist das nicht eine Regelung, die neue Kreativität behindert statt sie zu fördern? Stefan war ja auch kreativ und hatte etwas Neues aus Bekanntem gemacht. Im Jargon der Fachleute nennt man die Ergebnisse seines Vorgehens, Remixe oder Mashups: „transformative works“. Sollten Künstler und kommerzielle Verwerter lockerer damit umgehen? Sollten die Gesetze geändert werden, damit Stefan keine Angst vor teuren Abmahnungen haben muss?
Die Meinungen darüber gehen auseinander. Eva Kiltz, Geschäftsleiterin des Verbandes Unabhängiger Musikunternehmen e.V., und Rechtsanwalt Dr. Till Kreutzer diskutierten Anfang November in einer Diskussionsrunde der all2gethernow über das Thema – BLN.FM hat zugehört und für Euch die gegensätzlichen Meinungen heraus destilliert.
Sollte der Originalkünstler immer gefragt werden müssen, wenn ein Remix oder Mashup produziert wird?
Gute Remixe sind schön, findet Eva Kiltz, die Vertreterin der unabhängigen Labels. Sie seien wie ein großes Kompliment. Aber der Künstler sollte ein Vetorecht haben, um zu verhindern, dass das Ursprungslied „pervertiert“ wird. Demgegenüber spricht sich Till Kreutzer gegen eine absolute Verfügungsgewalt des Künstlers aus. Er meint: Man sollte sich nicht „für jeden Schnipsel Musik eine Erlaubnis einholen müssen“.
Aber sollten deshalb die Gesetze verändert werden? Eva Kiltz sagt: Bei „transformative works“ ist es so wie mit dem Marihuanakonsum: eigentlich verboten, aber geduldet. Wenn man es legalisiert, kann niemand vorher die Folgen abschätzen. Und außerdem, meint Eva Kiltz, Kreativität sollte sich vom Gesetz nicht aufhalten lassen. Till Kreutzer entgegnet dem hingegen: Wenn ein Phänomen eh schon stattfindet, könnte man durch die Schaffung einer legalen Basis fördern und konstruktiv gestalten. In den USA gibt es Fair Use-Regelungen — einen Ansatz, welche sich die Gesetzgeber in der EU zum Vorbild nehmen sollten — so Kreutzer. Fair Use erlaubt Zitate und Parodien von geschütztem Material unter bestimmten Bedingungen – ohne das der Originalkünstler extra um Erlaubnis gefragt werden muss.
Die angepeilte Richtung ist momentan jedoch eine andere: In der EU wurde erst kürzlich der Schutz für Audioaufnahmen von 50 auf 70 Jahre verlängert. Das nützt vor allem kommerziellen Vertretern und Verwertern, welche Künstlern die Nutzungsrechte „abkaufen“: Labels, Verlagen und Agenturen. Till Kreutzer schimpft über eine „reine Lobby-Entscheidung“, begleitet von „Propaganda“ der Begünstigten. Aber welche Entscheidung wird nicht von der einen oder anderen Lobby unterstützt? Auch hinter den Forderungen nach der Liberalisierung des Urheberrechts stecken Firmen, die Vorteile hätten, wenn das derzeitige „orthodoxe“ Urherberrecht abgeschafft wird — so mutmaßen Vertreter der Plattenlabel auf Diskussionen oder Blogs wie Spreeblick. Eine Lockerung des Urheberrechts wandelt sich in klingende Münze für IT-Industrie und Online-Plattformen, die mit Werbung große Gewinne machen — idealistische Wortführer seien da nur nützliche Idioten.
Was sollte jetzt gleich angepackt werden? Eva Kiltz will die Zugangsanbieter in die Pflicht nehmen. Wenn sie die Namen und Adressen derjenigen nicht rausrücken, die das Urheberrecht verletzt haben, sollten sie selbst zur Kasse gebeten werden können. Nur so könne man den Künstlern Lohn für ihre Arbeit garantieren. Till Kreutzer will lieber ein neues EU-weites Gesetz, das die „Remixer aus der Illegalität rausholt“. Auch ihre Arbeit soll geschützt und vergütet werden — und so denselben Status bekommen, wie die desjenigen, von dem der Ursprungstrack stammt.
Die Debatte sollte nicht auf „Künstler gegen kreativen User“ beschränkt werden, findet Eva Kiltz. Schließlich kostet Fragen nichts. Und das könnte auch Stefan tun. Bevor er seinen „Radio Edit“ von seinem Lieblingstrack öffentlich stellt, fragt er mal nach, ob das Okay geht. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es einfach sein muss herauszufinden, wer der Ansprechpartner ist. Doch wenn man sich nicht gerade an einen Charterfolg vergreift, dürfte der Wunsch selten abgeschlagen werden. Ein legaler, wenn auch unbezahlter Edit lohnt sich schließlich für alle: Stefan muss sich nicht mehr hinter einem Online-Pseudonym verstecken und der Künstler bekommt kostenlose Werbung. (Mitarbeit: Alexander Koenitz)