Ende der 1980er entstand im musikalischen Untergrund von Luanda/Angola ein Vorläufer dessen, was uns heute in den Tracks des Buraka Som Sistema begegnet. Inspiriert von der aus dem Norden kommenden elektronischen Tanzmusik experimentierten angolanische DJs und Produzenten mit einer Fusion aus karibischen Samples und afrikanischer Percussion – und schufen unter anderem den Kuduro, einen extrem rhythmusbetonten, rauen und treibenden Musikstil, den man am besten mit „hartem Arsch“ (portugiesisch: „cú duro“) tanzt, also unter elektrisierter Körperspannung.
Der Weg nach Europa wäre weit gewesen, gäbe es nicht die Abkürzung über alte, zumeist unselige Kolonialbande. Angola stand bis 1975 unter portugiesischer Herrschaft; ein jahrelanger, erbitterter Befreiungskrieg führte schließlich zum Zusammenbruch der portugiesischen Diktatur und zur anschließenden Entkolonialisierung. Einwanderer aus Brasilien, den Kapverden, São Tomé und eben Angola brachten neue kulturelle Einflüsse nach Portugal – und in den Stadtrandsiedlungen vor allem Lissabons entstanden die Brutkästen für die nächste Stufe der Fusion. Der ursprüngliche Kuduro wurde „progressive“, europäisiert und markttauglich.
Hier kommen Buraka Som Sistema ins Spiel. Das Soundsystem aus Buraca, einem düsteren Hochhausviertel im Speckgürtel von Lissabon, brachte 2006 seine erste EP „From Buraka To The World“ heraus – und konnte das Versprechen in der Tat einlösen. Sehr schnell waren sie landesweit bekannt und spielten sich in die erste Reihe der portugiesischen Musikszene, vernetzten sich, gaben den Mainstream-Medien ausführliche Interviews und reisten zu Festivals und Konzerten um die ganze Welt. Im September 2011 überzeugten sie die Besucher des Berlin Festivals von der Anziehungskraft ihrer Rhythmen. Bisheriges Highlight war jedoch ein paar Wochen zuvor ihr Auftritt vor 110.000 Zuschauern beim „Rock al Parque“ in Bogotá/Kolumbien. Seit der Festivaltour im Sommer gibt es sowieso kein Halten mehr, die halbe Welt will Kuduro tanzen und die portugiesischen Medien feiern das Quartett, das weiterhin in Lissabon lebt, wie Nationalhelden.
Nun erschien „Komba“, Burakas zweiter Longplayer und Nachfolger des Debüts „Black Diamond“ von 2008. Das gefürchtete zweite Album also. Tatsächlich macht es einen milderen, gemäßigteren, ja poppigeren Eindruck als die bisherigen Veröffentlichungen. Die Konsequenz und Aggression der frühen Graswurzel-Tracks ist einer glatten Produktion und gesteigerter Radiokompatibilität gewichen, was bekanntlich ein verbreitetes Phänomen ist. Dennoch haben sich Buraka Som Sistema keineswegs verkauft, denn rund die Hälfte der zwölf Tracks auf „Komba“ geht immer noch gut nach vorne.
Leitmotiv des Albums bleibt somit – und alles andere hätte doch sehr überrascht – der treibende, charakteristische Tanzrhythmus, manchmal als Elektrobeat im Hintergrund (etwa beim sehr soften „Voodoo Love“ oder beim ziemlich entspannten Titelstück), manchmal als einzige Existenzgrundlage eines Tracks, bespielsweise bei „Macomba“ oder „LOL & POP“. Die Gefahr einer perkussiven Monotonie wird dabei raffiniert umschifft, indem der naturgemäß gleichförmige Beat in jedem Track auf andere kreative Weise aufgebohrt wird. So bietet „Tira o pé“ ein buntes Pattern aus Drums, Synthie-Plops und Vocal-Samples, ebenso „Hangover (BaBaBa)„, auf dem die Stimmen der Band ausschließlich als Sample-Mosaik zu hören sind. Ansonsten wird gerne gerappt, auf angolanischem Portugiesisch oder auf Spanisch und meist in rasenden, hypnotischen Salven. Synthie-Flächen und die ein oder anderen Tröte dazu, fertig ist der einheizende Clubtrack. Komplex ist das zwar nicht, dafür aber spielt es die Stärken der Einfachheit aus.
Und da Buraka Som Sistema trotz aller musikalischen Zugeständnisse auch auf dem zweiten Album hörbar mit Talent und Leidenschaft bei der Sache sind, kann man sie getrost weiterhin als Botschafter des Kuduro bezeichnen. Sie bringen den Zuhörern ihre Sache näher – und zwar so, dass sie jeder versteht. Arsch anspannen und tanzen!
Preview:
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Tracklist:
- Eskeleto (feat. Afrikan Boy)
- Komba (feat. Kaysha)
- Voodoo Love (feat. Sara Tavares & Terry Lynn)
- Tira O Pé
- (We Stay) Up All Night (feat. Blaya & Roses Gabor)
- Hypnotized
- LOL & POP (feat. Blaya)
- Vem Curtir (feat. Stereotyp)
- Candonga
- Hangover (Bababa)
- Macumba (feat. Mixhell)
- Burakaton (feat. Bomba Estéreo) (Bonustrack)