DJ Cam – Seven

250Binsenweisheit Nummer 1: Wenn das Leben ungemütlich ist, sehnt man sich nach einfachen, Trost spendenden Dingen. Binsenweisheit Nummer 2: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Binsenweisheit Nummer 3: Totgesagte leben länger. Uff. Das hätten wir hinter uns.

Als sich Laurent Daumail Anfang der 1990er sein Pseudonym DJ Cam zulegte, spielte es noch keine Rolle, ob der Künstlername zu seriösen Google-Ergebnissen führt oder nicht. Daumail gilt als einer der Wegbereiter des Trip-Hop – da er jedoch aus Frankreich kommt und nicht aus Großbritannien, ist er nie auf der ganz großen Erfolgswelle mitgeschwommen, die einst Massive Attack, Portishead, Nightmares on Wax und die ganzen anderen in die MiniDisc-Player spülte. Kennern war er jedoch stets ein Begriff: Nach seinen ersten beiden Studioalben „Underground Vibes“ und „Substances“ mischte DJ Cam die achte Ausgabe der DJ-Kicks und brachte vier weitere Longplayer und zahlreiche EPs und Compilations heraus. Mit „Seven“ erscheint nun sein siebtes Album. Und dieses könnte den kritischen Hörer in einen beurteilungstechnischen Zwiespalt bringen.

Einerseits nämlich macht Daumail auf „Seven“ genau das, was er am besten kann: warmen, entspannten Downbeat, der manchmal eine Spur nach Trip und einen Hauch nach Hop schmeckt, etwa beim instrumentalen Intro „California Dreamin“ oder beim Bonustrack „A Loop“, die mit ein bis zwei urbanen Samples versehen wurden. Alles auf dem Album ist sehr jazzig, alles ist sehr harmonisch; Synthie-Streicher, milde Bässe und unaufdringlicher Gesang von Chris James sowie von Nicolette, selbst eine Legende, die 1994 auf dem Massive-Attack-Track „Three“ sang und ihrerseits 1997 die sechste Episode der DJ-Kicks verantwortet hat. Als guter Klangschuster liefert DJ Cam mit „Seven“ also solides Handwerk ab – und beweist, natürlich, das Trip-Hop und Downbeat nicht ganz so tot sind wie gedacht.

Andererseits jedoch muss man sich in solchen Fällen immer fragen, Legende hin oder her, ob ein solches Album im Jahre 2011 noch zeitgemäß ist. Von Weiterentwicklung nämlich keine Spur; Instrumente und Arrangements klingen altbekannt und wohlvertraut. Auch Nicolette singt wie immer, „Love“ könnte ohne weiteres ein 15 Jahre alter Bonustrack auf Massive Attacks „Protection“ sein. Lediglich dem Einsatz von Chris James ist es zu verdanken, dass man sich nicht gänzlich in den Neunzigern wähnt, da in seiner Stimme eine Spur des Gegenwärtigen mitschwingt, die Melancholie der heutigen Weltordnung vielleicht, die auch aus der Musik seiner Indie-Band Stateless herauszuhören ist. Der sehr smoothe Elektrojazz-Track „Swim“, der auch als Single ausgekoppelt wurde (sagt man das heute überhaupt noch?), sowie das angenehm emotionale „Uncomfortable“, das James‘ Stimme vervielfältigt und sogar ein klein wenig modern und unkonventionell daherkommt, sind dann auch die Highlights auf „Seven“.

Am Ende überwiegt das Bedürfnis nach Wärme. Wie war das eingangs mit dem Trost? Bekanntlich ist Berlin von Oktober bis April tiefgefroren und eher unwirtlich, und wer davon nicht schon zu Neujahr in die Knie gezwungen werden will, kocht sich Pudding und setzt sich vor den Kachelofen. Oder legt eine schöne CD ein. Die neue von DJ Cam zum Beispiel.

Preview:

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Tracklist:

  1. California Dreamin
  2. Swim (feat. Chris James)
  3. Dreamcatcher
  4. Love (feat. Nicolette)
  5. Seven
  6. 1988 (feat. InLove)
  7. Ghost (feat. Chris James)
  8. Fontainbleu
  9. Uncomfortable (feat. Chris James)
  10. A Loop

(Inflamable Records)