Unsound 2011: Im Endlager der Popkultur

Ziemlich clever, die Organisatoren des Krakower Unsound-Festivals für experimentelle elektronische Musik! Ihr diesjähriges Motto „Future Shock“ kann so vieles bedeuten, das sich in die Veranstaltungen des Festivals so ziemlich alles reinpacken läßt, was an avancierter elektronischer Musik aktuell unterwegs ist. Gleichzeitig kann Rückschau gehalten werden. Denn das Motto verweist auf den gleichnamigen Bestseller vom Futuristen Alvin Toffler, der darin 1970 erklärte, wie das heraufziehende Computer-Zeitalter das Leben der Menschen ändern wird. Der namensgebende „Future Shock“ ist Überforderung und Lähmung von Menschen angesichts der Masse an Informationen und Neuheiten.

Die Prognosen Tofflers waren in der Vorinternet-Ära populär und inspirierten die Gründergeneration des Techno, allen voran Juan Atkins in Detroit. Der Name seines Labels Metroplex läßt sich im Toffler-Buch zurückverfolgen, ebenso wie der Epoche machende Genrebegriff „Techno“. Mit dem Vokabular und den Ideen fühlten sich die Detroiter Kids Mitte der 1980er als Avantgarde eines kommenden post-industriellen Zeitalters.

Unsound 2011 Artwork

Heutzutage gehört Techno aus Detroit hingegen zu einer vergangenen Zukunft. Das wissen die Macher des Unsound-Festivals. Sie haben bereits auf dem Plakat die Zukunft in die Vergangenheit verlegt. Das Motiv erinnert an die Aufsteller der Videotheken vor 15 Jahren, welche B-Movies beworben haben. Die Veranstaltungsdaten sind mit der falschen Jahreszahl 1970 versehen, dem Erscheinungsjahr des titelgebenden Buches „Future Shock“. Das ist programmatisch zu sehen: denn es geht vor allem um die Zukunft von Gestern. Und die Zukunft von 1970 sind die 1980er, die nicht nur „No Future“ kannte, sondern die radikale Zukunftsvisionen der Prätechno-Bewegung.

Juan Atkins und Model 500 by Wassyl Abdoun

Höhepunkt ist einer der raren Auftritte von Juan Atkins Band Modell 500. Vor einiger Zeit hat der Detroit-Pionier beschlossen, mit seiner Musik aus den 1980ern wieder bei Techno-Großveranstaltungen dieser Welt aufzutreten. Was er zusammen mit Mad Mike, Mitbegründer von Underground Resistance, auf der Bühne bietet, wirkt jedoch 2011 unfreiwillig obskur: übersimple Industrial-Musik wird brav mittels digitalem HighTech reproduziert. Juan Atkins, adrett gekleidet im Anzug, schnarrt einpeitschend ins Mikrofon, an seiner Seite seine grimmig dreinblickenden Weggefährten. Die übersteuerte Musik aus den Boxentürmen im Hauptraum des Teatr Nova Lazia tut eigentlich nur weh. Diese Wiederaufführung ehemals revolutionärer Musik durch Mitvierziger ist massiv unspannend, denn die Zukunftsmusik von damals klingt heutzutage nur noch laut, übersimplifiziert, zombiehaft. Sie wird beim Gig ordentlich abgefeiert – aber sowas passiert auch bei Oldie-Konzerten wie man sie auch aus dem Rock’n’Roll-Betrieb kennt. Nun ist also das Genre Techno auch soweit! Es ist etabliert und alt genug, dass die Detroiter Techno-Radikale ihre Altersversorgung durch solche Gigs sicherstellen.

John Foxx beim Unsound 2011 von Wassyl Abdoun

Noch weiter zurück geht es am folgenden Tag, an dem John Foxx, namensgebender Teil der 1980ies Wave Pop-Band Ultravox, zusammen mit den Postrockern von The Maths auf der Bühne neues Liedmaterial intonierte. Vorgestellt wurde das gemeinsame Album „Interplay“. Die Songs sind zwar angeblich ziemlich neu, aber hören mit ihrem simplen Songwriting steinalt an, so wie der meiste Wave-Krempel, der auf Berliner Flohmärkten vergessen vor sich herumrottet. Also absoluter Liebhaber-Kram, nostalgisch bis ins letzte Loch – dargeboten von einem ehrenwert ergrauten Protagonisten, der recht häufig auf die Hilfe seines Textbuches angewiesen war.

Chris & Cosey bei Unsound 2011 von Wassyl Abdoun

Schon davor geben Chris & Cosey eine Geschichtsstunde, zwei Mitgliedern der 1980ies-Elektro-Pioniere Throbbing Gristle. Hier geht’s deutlich psychedelischer zu. Auf den stramm durchlaufenden, simplen Synthie-Beat, der mal stampfend Industrial vorgibt, an einigen Stellen aber auch schon bereits funky in Richtung Acid House tänzelt, singt Cosey oder greift in den reichhaltigen Instrumentenpark. Ein durchaus sympathischer Auftritt mit Überlänge, denn nach ungefähr einer halben Stunde sind bereits alle musikalischen Elemente der recht einfach gehaltenen Songs durch Wiederholung hinlänglich bekannt.

Gerade im Vergleich zu vielen neuem Material der nachfolgenden Generationen wird deutlich: Das was mal Epoche gemacht hat, weil es fundamental neu war, wirkt nach mehr 25 Jahren der „Techno“-Evolution verstaubt und limitiert. Es wirkt nicht mal liebenswert obskur, wie die Elektronik der 1970er. Das beweist sich vor allem im Kontrast zu anderen Konzerten auf dem Unsound-Festivals, allen voran dem Showcase des Not Not Fun-Labels mit LA Vampires und den digitalen Alleinunterhaltern Maria Minerva (Foto, BLN.FM-Rezension) und Dylan Ettinger. Trotz einiger Gemeinsamkeit mit ihren Ahnen, der Liebe zu Synthies und Lied-Strukturen, hat deren elektronischer Weirdo-Bedroom-Pop genau das, was den 1980er-Ahnen abgeht: Dynamik, Lebendigkeit und Verspieltheit. Der ließ das Publikum denn auch begeistert tanzen und jubeln: insofern ist die Gegenwart mit der vergangenen Zukunft durchaus gleichauf.

 (Fotos: Wassyl Abdoun, Agata Waleczek)