„Ich weiß nicht, was ich später genau machen werde“, sagte der in Berlin lebende Komponist BLN.FM nur einige Minuten vor seinem Auftritt. Was The Caretaker, mit bürgerlichem Namen Leyland James Kirby, im Endeffekt bei seinem Auftritt am 14.10. auf der Bühne des Krakauer Kinos Kijow zeigt, kommt eher einer Showeinlage gleich als einem gängigen Konzert. Zur Begrüßung rollt er sich zunächst vor dem Publikum in der ersten Reihe auf dem Boden umher. Das folgende Dröhnen wird von einem Film begleitet, der gestörte, fragmentarische Erinnerungen suggeriert. Bilder verblassen, es kommt zu visuellen Überlagerungen mit Aufnahmen des Universums. Die Musik scheint ein explosives Potenzial hinter alldem zu erahnen; als chaotisch-pompöser Soundtrack stützt sie die scheinbare Unlogik der Bildfolge, hinter der sich keine gängige Erzählung verbirgt. Irgendwann mischen sich kollektive Erinnerungen an historische Momente zwischen die Bilder. Es kommt zu einem musikalischen Schnitt – ein in knarzender Plattenspielermanier erklingender Engelsgesang wird von schwermütiger Kirchenmusik untermalt. Eine Geräuschkulisse, die im Nichts verhallt. Ein weiterer Schnitt leitet einen musikalisch krass gegensätzlichen Abschnitt ein.
Will The Caretaker den Zuschauer vorführen, indem er ihn auf die Relativität der Wahrnehmung aufmerksam macht? Oder macht er einfach nur das, was ihm gerade Spaß macht? Letzteres mit Sicherheit: Am Ende ironisiert der gebürtige Brite, mit offenem Hemd singend, playback Elton Johns „Can You Feel the Love Tonight“. Die Reaktion des eher an brave Performances gewöhnten Publikums war überschwänglicher Applaus – viele fühlten sich vermutlich an den Klassenclown aus der Grundschule erinnert. Man meint zu verstehen, wieso Mr. Kirby dem Akademismus des Techno-Bildungsklüngels um das Elektronik-Magazin „The Wire“ den Stinkefinger gezeigt hat. Er brach schließlich mit 16 die Schule ab. Und genau das akademische Palaver mit all seinen Kategorisierungen hasst James Kirby. Andererseits geht es um ein bisschen mehr, als das bloße Aufmucken des nächsten Enfant Terrible, das übermäßige Rebellion und Alkoholexzesse thematisiert.
Schon die konzeptuelle Konsequenz seines im Juni 2011 erschienenen, elektronischen Albums „An Empty Bliss Beyond this World“ legt nahe, dass er kein planloser Anarchist ist. Der bereits durch sein Projekt V/Vm bekannte Künstler präsentiert auf dem Album einen spannenden Balanceakt in geloopter Ballroom-Jazz-Ästhetik zwischen nostalgischer Melancholie und der zwanghaften Rückbesinnung auf längst verlorengegangene Momente. Sein neuestes Album „Eager to Tear Apart the Stars“ist am 3. Oktober 2011 auf seinem eigenen Label „History Always Favours The Winners“ erschienen und bewegt sich wie sein Vorgänger in den Sphären experimentellen Ambients, ist jedoch spürbar schwermütiger geraten. Man kann nur hoffen, dass The Caretaker selbst nicht wie sein Sujet angedeuteter Erinnerungen aus dem kollektiven Gedächtnis verblasst, denn: „This guy could in fact know, what he is going to do and it could be really interesting.“
Foto: boomkat, Anna Spysz / Unsound