So war’s: Kraftwerk 3D-Konzert in München

Mit ihren selbsternannten „Musikgemälden“ verstörten und faszinierten sie die schlager- und rockgetränkte Musikwelt der 1970er Jahre, aber auch Hip Hop-Pionier Afrika Bambataa ließ sich von ihnen bei seinem Track „Planet Rock“, der heute als erster Hip Hop-Track überhaupt gilt, inspirieren. Für viele haben Kraftwerk den Grundstein für Technomusik gelegt, als sie in ihrem Düsseldorfer Kling Klang-Studio in sperrigen elektronischen Instrumenten und selbstgebauten Konsolen eine gewisse Seelenverwandtschaft ausmachten und so ihren heute legendären Maschinensound erzeugten.

Die gebetsmühlenartige Anerkennung ihrer Verdienste klingt oft nach musikwissenschaftlicher Mottenkiste, gerade weil sich an ihrem Erfolgsrezept, ausformuliert in den 1970er und 1980er Jahren, bis heute kaum etwas geändert hat. Dennoch sorgen die vier Musikarbeiter immer noch für nervöse Unruhe unter Fans und Medien, wenn sie sich mit einem ihrer raren Konzerte zurückmelden. Gleich dreimal an zwei Tagen traten sie Mitte Oktober in der Münchner Alten Kongresshalle auf, um die von ihnen entwickelte Kraftwerk 3D Video-Installation im Kunstbau Lenbachhaus (noch bis 13. November) zu bewerben. Seit Jahren spielen sie auf dem Globus ein kaum verändertes Showkonzept, in München wurde nun eine komplett für die 3D-Brille konzipierte Show präsentiert, die mit allerlei neuen Visuals zu den Songs und räumlichen Effekten aufwartete. Jubel bricht aus, als in der kleinen, holzgetäfelten Halle das Licht ausgeht. Die kraftwerksche Robovox-Stimme leitet wie bei jedem Konzert den Abend ein: „Meine Damen und Herren / Heute Abend, die Menschmaschine / Kraftwerk!“ Jetzt schnell die 3D-Brille aufsetzen und schon breiten die vier Roboter synchron ihre Arme vor einem aus. Vor der Leinwand stehen die echten Kraftwerker in dunklen Synthetik-Anzügen an ihren Pulten – „Wir sind die Roboter“ dröhnt es durch die ausverkaufte Halle. Ihr Repertoire ist zum großen Teil lange vor dem digitalen Zeitalter entstanden, wo Computer noch so groß wie Schränke waren. Trotzdem gelten sie als Vordenker und produzierten wie in „Computerwelt“ Gesprächsstoff, der heute aktueller nicht sein könnte: „Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard / Finanzamt und das BKA, haben unsere Daten da / Automat und Telespiel, leiten heut die Zukunft ein / Computer für den Kleinbetrieb, Computer für das eigene Heim.“ Auch ein bisschen zum Schmunzeln irgendwie.

Durch den 3D-Effekt rückt man dem Mensch-Maschinen-Konzept noch ein Stückchen näher, die vielen bekannten Videoschnipsel und Kraftwerk-Symbole wirken noch intensiver. Die vier Männer bleiben beim Anblick des Spektakels am unteren Brillenrand immer erkennbar und bleiben somit Teil des Ganzen. Bei „Vitamin“ blubbern Tabletten in überdimensionierten Wassergläsern vor einem, Kapseln und Pillen fliegen durch den Raum, man mag sie fast greifen wollen und einige probieren es auch. Der „Transeuropa Express“ donnert einem auf weißen Gleisen und schwarzem Hintergrund entgegen, wie aus der Hubschrauberperspektive fliegt man an ihm vorbei. Zum süßlich-muffigen 80er-Sound von „Spacelab“ beamt uns Kraftwerk ins Weltall. Fantastisch dieser räumliche Blick auf die Erde und das vorbei fliegende Spacelab. Manchmal gibt’s kleine Momente der Irritation, mit dem Ton stimmt etwas nicht. Kein Anlass zur Sorge, kurz werfen sie sich Blicke zu und spielen routiniert weiter, auch eine Menschmaschine ist nicht fehlerfrei.

Von der Empore aus sieht es eher nach Sonnenfinsternis aus, wenn man auf die knapp 1500 im Licht flackernden Köpfe mit 3D-Brillen blickt. Vorne bedienen derweil die Soundtüftler ihre Tastaturen, ziehen Regler und drücken Pedalen mit dem Fuß. Als Roboter bewegen sie sich kaum zur Musik, sind nur auf ihre Technik konzentriert. An der distanzierten Haltung zum Publikum hat sich also nichts geändert, eine gespannte und sterile Atmosphäre. Die Stimmung wird trotzdem immer bierseliger: „Die Leute wollen Musikgeschichte erleben, deswegen sind sie hier“, sagt mir einer am Bierstand im Foyer und verschwindet rasch mit vier vollen Bechern im Saal. Wenn unter Johlen die Autogeräusche eines alten Käfers zu hören sind, trashig, geschwungene Reklamestreifen rumblinken und sich über kultig antiquierten Stil einer vorangegangen Zeit amüsiert wird, ahnt man: Kraftwerk ist mittlerweile auch ein wenig zu deutscher Folklore mutiert. „Elektronische Volksmusik“ nannte Bandleader Ralf Hütter ihre Musik in einem ZDF-Interview. Kraftwerk ist die vielleicht wertvollste Konserve deutscher Popmusik, auch inhaltlich sind sie dabei aktueller denn je, wenn man sich heutige Diskussionen um Atomkraft, Vorratsdatenspeicherung und größtmögliche Mobilität anschaut.

Am Ende des Konzertes zeigt Hütter, der als einziger noch von der ursprünglichen Formation übrig geblieben ist, wie sehr er immer noch Spaß an allem hat. Er formt mit seinen Händen ein Herz, als Dank für den pausenlosen Jubel. Dann stellt er sich schlafend, legt den geneigten Kopf auf seine Hände, kniet sich soweit runter, bis er mit Kopf und Händen auf seine Tastatur sinkt und die Töne anspielt. Eine ungewöhnliche Gefühlsregung für einen Kraftwerker.

Insgesamt betrachtet faszinieren Kraftwerk noch immer mit ihren Ideen von damals, das bleibt auch im zeitgemäßen 3D-Gewand so. Als eine Art Aufforderung für jüngere Musikingenieure ist vielleicht aber folgender Satz zu verstehen: „Es wird immer weiter gehen, Musik als Träger von Ideen“ ist zu den wummernden Bässen von „Aerodynamik“ vorne zu lesen. Mit „Musik Nonstop“ ist die Show vorbei, einer nach dem andern verlässt die Bühne, bis nur noch Hütter da steht und die letzten Akkorde anschlägt. Er schaut auf sein Handgelenk, als ob da eine Uhr wäre. „Haben irgendwelche Clubs noch auf in München?“, fragt er in die Menge. Dann geht auch er von der Bühne, verbeugt sich und verschwindet hinterm schwarzen Vorhang. Mal sehen, wie lange Kraftwerk dieses Mal untertauchen. Bis zum 13. November kann man sich zumindest noch die einstündige 3D-Installation in München in der Ausstellung über Kraftwerk anschauen!

(Fotos: Matthias Hummelsiep)