In Krakow, der zweitgrößten Stadt Polens, findet vom 9.-16.10. das Unsound-Festival statt. Durch die hervorragende Programmgestaltung hat es sich mittlerweile zu einem Schaulaufen für die besten und interessantesten Bands im Bereich der avancierten elektronischen Musik entwickelt. BLN.FM läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen und sammelt Eindrücke für Euch!
„Party für das Weltenende“ proklamierte das Unsound-Programm für diesen Mittwoch, den 13.10., im Keller des Krakower Museums „Manggha“, das sich mit japanischer Kultur beschäftigt. Die apokalyptische Party scheint eine äußerst deprimierende Angelegenheit zu werden, wenn man den in-sich-gekehrten Auftritt von HTRK als Referenz heranzieht. Das Duo aus Australien hat gerade das Album „Work Work Work“ auf Ghostly International veröffentlicht. Dessen obskurer Höhepunkt ist eine Collage aus Telefonsex-Werbung auf Synthie-Chorälen und Schlurfbass. Ansonsten schwankt die Musik zwischen bedrohlich wabernden Drones, Mir-ist-alles-egal-Sprechgesang und verzerrtem Gitarren-Gegniedel.
Live gibt Sängerin Jonnine Standish die unterkühlte Domina, die mechanisch ihr Drumpad bearbeitet. Hallfilter entheben ihren genuschelten Gesang in entfernte Sphären. Dort befindet sich bereits ihr Gitarrist Nigel Yang. Der fummelt an verschiedenen Effekt-Reglern und zupft selbstvergessen an der Gitarre. Ein klarer Zusammenhang zwischen seinen introvertierten Aktionen und dem, was die Band an noisig-wabernden Witch House aus den Boxen kommen lässt, ist schwer herzustellen. Die dröhnigen Songs kreisen recht statisch um sich selbst, mit einigen guten Visuals (unter anderem von der polnischen PussyKrew) ist so ein Auftritt für eine halbe Stunde auch ganz gut erträglich. Aber dann denke ich an Portishead, welche in ihren schweren, melancholischen Liedern in ähnlichen Stimmungen schwelgen, und weiß: HTRK produzieren vielleicht eine passable atmosphärische Klangtapete für Freunde musikalisch breitgewalzter Niedergeschlagenheit, standesgemäß, aber langweilig, dargeboten mit einer Attitude aus Gleichgültigkeit, die als künstlerische Arroganz oder Menschenangst gedeutet werden kann. Aber es fehlt ihnen sowohl auf dem Album als auch live an Glamour und Raffinesse, mehr als eine eng begrenzte Fanschar anzusprechen – enthusiastischen Rezensionen von Musikfachblättern zum Trotz.
Musikalisches Kontrastprogramm bietet hingegen Robin Fox, der mit seinem Laser und Computer derzeit über europäische Kunstfestivals tourt. Mit seinen Ende 30, Anfang 40 erinnert er mit seinen langen Haaren, der Plauze und der legeren Kleidung an einen Tüftler des Computer Chaos Clubs. Wenn er beginnt, geht das Licht aus, der Laser an und die Nebelmaschinen pusten kleine Trockeneis-Schwaden in den Saal. Die Idee ist puristisch: Robin feuert Abfolgen von hohen und tiefen, langen und kurzen Tönen ab, welche den Laserstrahl modulieren: Sie ziehen ihn in die Breite, zerschneiden ihn auf mehreren Ebenen und positionieren ihn im Raum. Zuhörende finden sich in einem beweglichen Raum wieder, dessen Lichtwände sich rhythmisch ändern. Eine bekannte und beliebte Jahrmarktsattraktion mit einem deutlich begrenzten Vokabular an Gestaltungsmitteln, welche Robin Fox bis ins Extrem ausnutzt. Die rhythmisierten, synthetischen Geräusche kratzen, pfeifen, knattern, fetzen, knallen – der giftgrüne Laserstrahl folgt dabei. Robin Fox‘ Umsetzung ist durch die Reduktion auf das Wesentliche ein gelungener Gegenentwurf zu kommerziellen Lasershows, in deren überreizendem Bombast die Verbindung zwischen Musik und Licht verloren geht. Sowohl in seiner äußerst minimalen Musik als auch in der Visualisierung verschwindet bei Robin Fox der Mensch als Schnittstelle zwischen Musik und ihrer Darstellung: das was wir hören können überträgt sich unmittelbar auf das, was wir sehen.
Abgeschlossen wird der Abend durch Kangding Ray. Dieses Frühjahr veröffentlichte der Franzose sein Album „OR“ auf Raster-Noton. Für den Live-Auftritt holt er sich Verstärkung: Ein Kollege dreht mit ihm Knöpfchen, ein anderer spielt ein digitales Schlagzeug. Das rund einstündige Set der Band reißt das Publikum von den Sitzen. Der Auftritt beginnt mit Dubtechno, der hypnotische Wirkung nicht mit langweiliger, verhallter Repetition der immer gleichen Versatzstücke verwechselt. Am Ende steht technoider IDM-Rave, der zu Liebesbekundungen seitens des Publikums führt. Kangding Rays Musik ist funktional wie sinnlich: Experimentelle Effekte und dröhnende Noise- und Bass-Flächen werden in Maßen eingesetzt, die helle Rhythmik der Tracks ist klar erkennbar, hat aber im Vergleich zu üblichen Produktionen in dem Bereich immer eine Kante mehr. Musik und Auftritt nehmen so sympathisch ein, dass man sie gar nicht in dem intellektuell eher unterkühltem Umfeld des Raster Noton-Labels vermuten würde. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der aus Berlin kommenden Kangding Ray in der Stadt selbst noch nicht die Bekanntheit erreicht hat, die er beim tanzenden Publikum verdient. Das junge Publikum in Krakow freut sich jedenfalls über die Entdeckung: Es dankt ihm mit rhythmischem Mitklatschen und ausgelassenem Jubel – eine Erfahrung, welche Kangding Ray bei Kunst-Festivals und deren distinguiertem Publikum eher selten machen dürfte.
(Foto: HTRK by nikkisneakers)