Apparat – The Devil’s Walk

Sascha Rings Technozeit in Berlin begann 1997. Aus dem beschaulichen Harz ging es direkt in die muffigen Keller und Gemäuer des technoiden Berliner „Undergroundshit“, wie er es nennt. Er ist mit hartem Techno großgeworden, aber für seine eigene Musik wollte er stets mehr als Techno in Reinform. Schon beim Album „Duplex“ (Shitkatapult, 2003) tauchen klassische Instrumente wie Posaunen und Gitarren auf. Spätestens beim internationalen Knalleralbum „Walls“ (Shitkatapult, 2007) zeigte er sich in dieser Hinsicht äußert experimentierfreudig. Arrangements orchestraler Instrumente fanden sich im düsteren, mal schwebenden Downtempo und verfrickeltem IDM-Style.

Mit seinem vierten Album „The Devil’s Walk“ ist Apparat endgültig in der musikalischen Organik angekommen. Der 33-jährige verlässt seine technoiden Pfade vorerst und genießt ein rotziges Bandleben mit seinen drei Mitstreitern. Er wolle „den ganzen Synthi-Kram wegschieben, um mal was ganz anderes zu machen“, erklärte er im BLN.FM-Interview.

Die letzten Jahre tourte er intensiv mit Moderat durch die Weltgeschichte, eine neue Inspiration musste her. Anfang 2010 schnappte er sich deshalb seine Kumpanen Joshua Eustis (Mitglied von Telefon Tel Aviv) und Fredo Nogueira und zog für einige Zeit in ein Haus auf den Klippen Sayulitas an der pazifischen Küste Mexikos. Man tauschte Hektik, Termine und Studiotechnik gegen kitschige Sonnenuntergänge, Palmenrauschen, Taccos und Jamsessions in Badelatschen. Im sogenannten Arbeitsurlaub sprudelten die ersten Ideen für das nun erscheinende Album (26. September 2011). Die allererste Idee kam allerdings schon vorher raus, im Track Sayulita (auf !K7, 2010) weht ein Hauch schwülheißer, mexikanischer Pazifikluft.

In der Produktionsweise hat sich bei Apparat vor allem eines geändert: organische Instrumente wie Schlagzeug, Klavier und Gitarre wurden zuerst aufgenommen, dann digitale Spielereien und Effekte zugesetzt. Wir erinnern uns, früher war es umgekehrt, als er den digitalen Sound mit klassischen Instrumenten fütterte.

Mit „Sweet Unrest“ beginnt das Werk, sehr erhaben. Die Ukulele zupft sich durch diesige Soundwaben. Chorstimmen heller und dunkler Stimmlagen setzen ein. Über drei Minuten zieht sich die Anfangsszene und stimmt mit großer Geste auf das nun Folgende ein. Die Flügeltüren schlagen auf, wir treten ein. Tiefe Bässe dröhnen, Saschas klare Stimme und leichte Effekte öffnen sich. Ein sanfter Rhythmus bei „Song of Los“, fast schon poppig. Wie eine Hymne klingt „Black Water“, schwerfällig und großzügig. Ein epischer Strudel aus schwarzen Tönen macht sich breit, am Ende plätschert es hörbar trostlos auf den nackten Stein.

„Goodbye“ beginnt musikalisch im Stile eines bestialischen Horrorfilms. Unruhiges Gezische und Saiteninstrumente schaffen eine mystische Atmosphäre. Der umtriebige Teufel stampft gleichmäßig und dumpf auf den Boden, was hat er vor? Das Klavier und eine weibliche Stimme klären auf. Es geht ins Bett und das Licht wird gelöscht: „Lay down next to me / Don’t listen when I scream / Bury your thoughts and fall asleep / Find out… I was just a bad dream“, heißt es im Songtext. Es geht um schmerzhafte Trennung und Verlust. Dabei betont Sascha, dass seine Balladen nicht von tiefbetrübter Intention sind, es bleibt also Raum zur freien Interpretation.

Klar, auf dem Album thematisiert er den Tod und verweist dabei auf seine Erlebnisse in Mexiko: „Der Tod hat eine andere Bedeutung in Mexiko. Die Menschen feiern Beerdigungen, sie sind nicht unbedingt nur Grund zur Trauer; ich fand das interessant und wollte das mit thematisieren.“ Die Menschen blicken beim jährlichen Día de los muertos (Tag der Toten) dem Tod sarkastisch ins Auge, das weiß auch der mexikanische Nobelpreisträger Octavio Paz, der in seiner Beschreibung des mexikanischen Daseins „Das Labyrinth der Einsamkeit“ beschreibt: „Wir schmücken unsere Häuser mit Totenschädeln, wir essen am Totensonntag Brot in Form von Knochen, wir amüsieren uns mit Liedern und Schwänken, aus denen der kahle Tot grinst.“

In „The soft voices die“ und „Escape“ ist der anfängliche Horror verflogen, es wird gemütlich und leicht. Keine hämmernden Beats, dafür viele warme Streicher, Klavier und Apparats fragiler Gesang. Bei „A Bang in the void“ scheint gleich ein ganzes Orchester zu spielen. Allerlei Geklöppel von Xylophonen, wilde Glockenspiele und später eine Trompete schlängeln sich über das tiefe Band des Violoncello. Der Sound bekommt Löcher, die Instrumente driften ab und verlieren sich im Nirgendwo.

Zwischen den letztgenannten Songs sitzt „Ash/Black Veil“ und dieser fällt aus der Reihe, weil so unruhig. Quietschend streicht Keyboarder Ben zunächst mit dem Bogen einer Geige über ein mit Saiten bespanntes Stück Holz. Weitere Instrumente steigen mit ein und vergrößern die flüssige Soundcollage. Ein Sog aus Saitengeklirre und Saschas Stimme steigert sich in einen nervösen Klangteppich. Der Track zerschmilzt, die Augen gehen wieder auf und alles ist schon wieder zu Ende. Am Ende des Albums steht „Your House is my world“. Fast schon kitschig intoniert Apparat seine Stimme über die rauschenden Becken, die leichte Snare, eine kurzgehaltene Gitarre und klagende Violinen.

Das Album bietet eine atemberaubende Klangvielfalt und beweist mal wieder, wie tiefgründig und poetisch der Künstler Apparat ist. Selbst der Albumtitel ist nicht irgendein kreativer Gedankenblitz, denn das sozialkritische Gedicht „The Devil’s Walk“ (1812) des britischen Romantikers Percy Bysshe Shelleys gab ihm seinen Namen. Viel Arbeit hat er sich gemacht, für gerade mal 10 neue Songs!

„The Devil’s Walk“ bringen die vier Männer der Apparat-Band nun auf die Bühne. Die ganze Energie entlädt sich durch ihre Körper und es hat schon was von einer Teufelsaustreibung, wenn sich Ben am Keyboard dermaßen krümmt, der Gitarrist Nackt (Teil der Kombo Warren Suicide) wie von Sinnen über die Bühne steuert, Schlagzeuger Jörg nicht mehr zu halten ist und auch der Chef am Mikro auf Bühnenmodus eingestellt ist.

Apparat wird nächstes Jahr nichts Neues produzieren, sondern an den Tracks mit seiner neuen Band weiter feilen: „Es ist alles gesagt. Ich hab keine Ideen und keine Ambitionen noch mehr zu sagen. Ich will jetzt nur noch live spielen und das machen wir auch.“ Wir werden sehen, wo sie die Reise hinführt…

Preview:

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Tracklist:

  1. Sweet Unrest
  2. Song of Los
  3. Black Water
  4. Goodbye
  5. Candil De La Calle
  6. The Soft Voices Die
  7. Escape
  8. Ash/Black Veil
  9. A Bang in the Void
  10. Your House Is My World

(Fotos: Constantin Falk)

(Mute Records)