Am 9. und 10. September fand das Berlin Festival auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof statt. Mit einem starken Programm zog die Veranstaltung 2011 zirka 15000 Besucher an – weniger als letztes Jahr. Das Festival war nicht ausverkauft. Redakteure von BLN.FM waren dabei und haben großartige Auftritte von James Blake, The Rapture, Public Enemy und vielen anderen erlebt. Dazu später jedoch mehr.
2009 hatte sich das Berlin Festival von einer vergleichsweise kleinen Veranstaltung mit dem Umzug auf das Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof endgültig in ein jährliches Großereignis verwandelt. Zum dritten Mal fand das Festival unter dem riesigen Dach des Abfertigungsgebäudes und in den angrenzenden Hangars statt, jedoch wurde das Konzept in diesem Jahr geändert, nachdem letztes Jahr das Festival wegen Chaos in den Eingangsbereichen zu einzelnen Hangars abgebrochen werden musste. Dieses Jahr wurden die Tore aller Hangars geöffnet. Die Konzerte endeten in diesem Jahr um Mitternacht, danach ging es weiter in den „Club X-Berg“ auf dem Gelände der Arena, wo auf drei Bühnen DJs und elektronische Liveacts spielten. Diese Maßnahmen haben sich schnell als sehr vernünftig erwiesen, die Organisation vor Ort war den Menschenmassen problemlos gewachsen und die Atmosphäre auf dem Gelände war jederzeit entspannt.
Am Freitag ging es bereits um 14 Uhr mit einem heimlichen Headliner los: James Blake spielte mit seiner Band einen sehr schönen Auftritt auf der Hauptbühne und hatte spätestens bei „The Wilhelm Scream“ alle Anwesenden auf seiner Seite. Er selbst sagte: „First I was a little anxious about playing this early, but now it feels good. Really good.“ Trotzdem war der Zeitpunkt des Auftritts irgendwie unglücklich und nicht wirklich nachvollziehbar. Die dichte Athmosphäre wäre wohl bei Dunkelheit und mit einem größeren Puplikum einfach stärker zum Tragen gekommen, außerdem hätten dann auch mehr Besucher die Möglichkeit gehabt, den Kritikerliebling zu erleben.
Über einen kurzen Zwischenstop bei Yelle (mit rotem Leopardensuit!) ging es weiter zu The Rapture, ebenfalls auf der Hauptbühne. Das Gelände war derweil ganz gut gefüllt und die Band hatte sichtlich Spaß beim spielen. Die Jungs waren einfach unheimlich cool und gut gelaunt auf der Bühne. Die Songs vom neuen Album holperten zwar hier und dort noch ein kleines bisschen und die alten klangen mit neuem Bassisten auch etwas ungewohnt, aber das war überhaupt nicht so wichtig. Am Ende klappte dann noch „How Deep Is Your Love“ erst im zweiten Anlauf, aber es wurde nur kurz gescherzt und das Publikum um Verzeihung gebeten. Natürlich gar kein Problem. Alles in Ordnung hier.
Die Veränderungen auf dem Flughafengelände waren im übrigen sofort zu spüren, durch die Öffnung der Tore von Hangar 4 fanden alle Konzerte quasi draußen statt und es konnte auf Einlassschleusen oder andere Begrenzungen weitgehend verzichtet werden. Außerdem kam auf dem Gelände ein Ausstellungsbereich dazu, das „Art Village“. Zwanzig Berliner Künstler verschiedenster Stilrichtungen präsentierten ihre Werke mit dem Themenschwerpunkt „50 Jahre Mauerbau. Hat zwar nichts mit Mauer zu tun, aber den meisten Besuchern dürfte wohl das zirka 3×3 Meter große Konterfei von Amy Winehouse aus Toastbrotscheiben mit verschiedenem Bräunungs- oder Schwärzegrad im Gedächtnis geblieben sein.
Lange tiefrot im Timetable angemarkert und das erste echte Highlight des Festivals waren Health. Infernaler Synthiekrach, zersampelte und krass übersteuerte Gitarren- und Bassklänge lagen über den verdammt tighten Drums und unter dem zart verhallendem Gesang. Es ist sehr laut, sehr elektronisch und trotzdem sehr live. Ziemlich genial. Die meisten Leute sind begeistert und einige wenige einfach nur irritiert. Wer wollte, konnte danach direkt weiter zu Battles gehen.
Andy Butler von Hercules & The Love Affair hatte sichtlich Spaß am Freitagabend, das Konzert in Hangar 5 war eine einzige große Party. Es ist schon einfach bemerkenswert, wie großartig das Konzept der Band funktioniert: 1980s- und 1990s-House, starke Persönlichkeiten und jede Menge Queerness auf der Bühne. „I think it’s time to get a little nasty. I think it’s time to bang. No more foreplay!“ Jawohl, so war es dann auch! In den frühen Morgenstunden zeigte sich Andy Butler außerdem noch sehr gesprächig im spontanen Interview nach seinem „bangin‘ DJ-Set“ im Glashaus der Arena. Er erzählte von einem großartigen Abend, einem neuen Hercules & The Love Affair-Album und weiteren Veröffentlichungen auf seinem Label Mr.Intl. Zwei der kommenden Tracks werden „Food“ und „Punk“ heißen. Das ganze Interview gibt es bald auf BLN.FM.
Nach einem schönen, aber aufgrund technischer Probleme leider sehr kurzen Auftritt von Santigold und einem starken Brett von LFO ging es dann weiter in die Arena. Im Festivalpreis inbegriffen war der BVG-Shuttleservice direkt vom Festivalgelände. Der brachte die Besucher unkompliziert zum Club X-Berg, der doch eigentlich in der Arena in Treptow stattfand. Wahrscheinlich strahlt aber der Begriff „X-Berg“ einfach die nötige Urbanität aus: „X-Berg“, das ist schließlich da wo es laut ist, wo was passiert, wo die Subkultur um jede Ecke guckt.
Wie auch immer, 15 min später waren wir dort und es geht weiter. Es war eine gute Idee, das Festival nachts hierher zu verlegen. Durch den Ortswechsel kam in den beiden Clubs und draußen am Badeschiff eine gewisse Aftershow-Party-Stimmung auf, bloß dass sich hier ständig namhafte DJs die Klinke in die Hand gaben. Am Freitag schien die Arena selbst zunächst noch etwas zu groß. Kruder & Dorfmeister waren zwar durchaus gut, aber nicht wirklich spannend. Erst mit Diplo und A-Trak kamen hier wirklich starke DJs zum Zug. Nebenan im Glashaus tauchte gegen halb sieben schließlich doch noch Boy George auf und gab den verbliebenen Gäste genau das, was sie erwarteten: Personality und 1980s Deep House. Irgendwie beruhigend und schön, dass es ihn gibt.
Am Samstag fielen zunächst Mount Kimbie auf. Die beiden Briten setzen ihren LoFi-Post-Dubstep live sehr atmosphärisch und unerwartet ekstatisch um. Gegen Ende des Auftritts wurde es sogar regelrecht housig. Auf derselben Bühne eine Stunde später spielte dann Pantha du Prince ein sehr starkes Set. Der Sound ist großartig, die Bässe genau so kellertief, wie sie sein müssen und immer mehr Menschen strömen in Hangar 4. Neu ist außerdem eine Installation des Künstlers selbst, welche abgefilmt auf eine Leinwand hinter dem DJ auf eine Leinwand projeziert wurde.
Der Auftritt von Boys Noize im Anschluss auf der Hauptbühne war gefühlt derjenige, auf dem die meisten gewartet hatten. Die Stimmung war sehr ausgelassen, wurde nur durch einen kurzen Ausfall der Haupt-PA zwischenzeitlich etwas gebremst. Es liefen nur noch die Monitore auf der Bühne. Danach ging es gewohnt laut und bratzig, sowie mit viel Konfetti und Pyrotechnik weiter.
Bevor es wieder im Arena Club weiterging, spielten noch die Bloody Beetroots im Hangar 4. Bloody Beetroots, das sind drei italienische Männer mit Venom-Masken, die sich auf die Bühne vor ein riesiges Banner ihres Bandlogos stellen und mit sakralem Electro-House der „Church Of Noise“ huldigen. Die ausschweifende Symbolik und ein Schlagzeugsolo machten das Ganze komplett. Sehr spaßig, aber nicht unbedingt extrem aufregend. Nach einer haben Stunde zu den sehr guten Mogwai zu wechseln war letztlich eine gute Wahl.
Es fehlte nun noch Public Enemy. Die beiden Herren ließen sich zunächst einmal viel Zeit hinter der Bühne und traten dann mit einer Kombination aus Live-Band und DJ auf. Das Puplikum (es war mittlerweile auch in der Arena voll) feierte die Band, welche sich mit einer langen und theatralischen Ansprache für „unity, togetherness, peace and the love of god“ verabschiedete. Ein irgendwie sehr ehrwürdiger Auftritt.
Ein weiterer Höhepunkt des gesamten Festivals folgte direkt im Anschluss: Skrillex spielte ein so hektisches wie hartes Set aus immer neuen Popmusikschnipseln, um diese manchmal nur nach Sekunden von gewaltigen Dubstep- und Breakbeatmonstern endgültig zerfetzen zu lassen. Sehr innovativ produziert und voller Energie. Stark!
Insgesamt waren es zwei sehr schöne Tage, von denen einige Konzertmomente besonders in Erinnerung bleiben werden. Die meisten Besucher zeigten sich sehr zufrieden mit dem Festival und lobten die Vielfalt des Programms und die konzeptionellen Änderungen im Vergleich zum letzten Jahr. Ähnlich häufig wurde jedoch auch angemerkt, dass die Tickets einfach zu teuer seien. Das Festival sei gut, aber insgesamt hätte man etwas mehr erwartet. Vielleicht ist das auch die Ursache für die im Vergleich zum Vorjahr geringeren Besucherzahlen. Ein Festival, das knapp 100 Euro für zwei Tage kostet, sollte vielleicht etwas innovativeres zu bieten haben als mit Suede, Beginner, Public Enemy und Primal Scream vier ehemals große Bands auf Reunion-Tour als Headliner zu präsentieren. Genau genommen verhält es sich auch bei Kruder & Dorfmeister, LFO und DJ Hell ähnlich. Das sind zwar auch alles große Namen, allerdings keine Künstler, welche die musikalische Gegenwart zur Zeit aktiv und maßgeblich prägen.
Alle Fotos vom Berlin Festival
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(Alle Fotos: Milan Gonzales)