Der traurige Ritter gegen die Matrix

Wenn dieser Tage in Deutschland über WikiLeaks gesprochen wird, dann dreht es sich nicht mehr um die Veröffentlichung von Videos aus dem Irak-Krieg oder den cables, mit dem amerikanische Diplomaten offenlegen, was sie insgeheim von der Welt halten. Vielmehr ist WikiLeaks selbst zum Thema geworden: die internen Querelen innerhalb des Netzwerkes, besonders die private Fehde zwischen Julian Assange und „einer bestimmten Person in Deutschland“.

 

Bei der Berliner Medienwoche wechseln sonst Chefs von Verlagen und TV-Stationen in Elefantenrunden miteinander Fachsprech. Am 6. September hatte Julian Assange, Gründer von Wikileaks, Gelegenheit, sich in einem Gespräch zu den derzeitigen Vorgängen rund um die Whistleblower-Plattform zu äußern. Weil er unter Hausarrest steht, wird er per Videoschaltung aus dem britischen Landhaus zugeschaltet.

Julian Assange soll zu Transparenz als zentrale Motivation für die Aktionen von WikiLeaks sprechen. Aber vorher müssen alle Anwesenden schon mal die Smartphones und Kameras deaktivieren. Ordner im Saal passen auf, dass keine Ton- und Bildaufnahmen gemacht wurden.

Transparenz hört sich theoretisch gut an, aber das Aufdecken von Geheimnissen kann unschöne Folgen haben: die Nennung von Namen in Dokumenten oder Rückschlüsse auf Absender können dazu führen, dass Menschen, die sich gegen Regierungen stellen, verfolgt und verurteilt werden. Erst letzte Woche veröffentlichte WikiLeaks selbst alle vorhandene Kommunikation der amerikanischen Botschaften, ohne dass Namen gelöscht wurden. Personen sind jetzt für jeden zu identifizieren. Ein gefundenes Fressen für Geheimdienste und Regierungen auf der Suche nach Verrätern, sagen manche. Hat Julian Assange damit das Vertrauen derjenigen, die ihm Informationen zukommen lassen, für immer verspielt? Noch schlimmer: hat er dafür gesorgt, dass es vergleichbare Projekte in der Zukunft viel schwieriger haben werden, whistleblower zu finden, also jene, welche schmutzige Geheimnisse an die Öffentlichkeit verpfeifen?

Julian Assange weicht aus. Direkt durch Zutun von Wikileaks sei nie jemand zu Schaden gekommen, behauptet er. Dass Informanten wie Bradley Manning mittlerweile im Gefängnis sitzen oder auf anderer Weise bestraft wurden – dafür könne er / WikiLeaks nichts. Schuld sind Regierungen, die ihr Handeln verdeckt halten wollen. Und etablierte Medien, welche die großen Schlagzeilen im Konkurrenzkampf suchen. Und einzelne geltungssüchtige Personen, wie eine Person aus Berlin, dessen Namen er nicht nennen will. Überhaupt: die aktuelle Veröffentlichung unanonymisierter Daten letzte Woche sei gar keine richtige Enthüllung, sagt Assange. Das Passwort sei zuvor vom Guardian-Journalisten David Leigh in seinem Buch „Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“ veröffentlicht worden. Die Datei mit den Daten kursiert seit Monaten unkontrolliert im Internet. Im schlimmsten Fall meint das: einige, zum Beispiel Geheimdienste, haben die Informationen, aber die Öffentlichkeit und die Betroffenen nicht. So begründete Assange die Veröffentlichung der unredigierten Dokumente, die WikiLeaks die Unterstützung von Journalisten und „Reporter ohne Grenzen“ gekostet hat.

Wikileaks 7.9.2011

Für einige scheint Assange der gefährlichste Mann der Welt zu sein. Einer der nicht mit Bomben kämpft, sondern mit Informationen, die besser verborgen bleiben sollten. Mit einer Kamera auf sich gerichtet, den Fragen der Journalistin Melinda Crane ausgesetzt, wirkt dieser gefährliche Assange fahrig und nervös: als trauriger Ritter verteidigt er seinen Kampf gegen die „Verschwörung“ der Mächtigen. Im Gespräch schildert er wie diese gegen Wikileaks nach der Veröffentlichung von Botschaftsdokumenten im letzten Jahr zurückgeschlagen haben: Verhaftung von Assange 2010 wegen Vergewaltungsvorwürfen, Festsetzung in einem Luxusgefängnis in der britischen Provinz, Attacken auf den Wikileaks-Server, Datensabotage, Sperrung der Möglichkeit über Kreditkarten und Paypal für Wikileaks Spenden abzugeben. Assange bitter: Für Folterwerkzeuge kann man per Visa überweisen, aber einem Projekt wie Wikileaks werden die Bankverbindungen gekappt. Assange glaubt zu wissen, wer hinter dahinter steckt: die Verschwörung zwischen Politik und Wirtschaft. Genau das, was Wikileaks öffentlich machen will. Was Julian Assange nicht sagt: weil er für die erfolgreiche Aufdeckung von Geheimnissen mit Journalisten etablierter Zeitungen zusammenarbeitet, muss er sich mit denen einlassen, von denen einige kritische Wissenschaftler sagen, dass sie Kollaborateure von Assanges „professioneller Verschwörung“ sind.

Wird WikiLeaks jemals wieder Dokumente veröffentlichen? Julian Assange bleibt wie bei vielem, was die Interna von Wikileaks betrifft, unkonkret. Die Seite wird umgestaltet, die zentrale Möglichkeit Dokumente hochzuladen, überarbeitet. Medienpartner seien noch an Bord, nur mit Guardian und New York Times seien zwei der alten Partner raus. Im Nachhinein wird das von Spiegel Online-Chef Mathias Müller von Blumencron relativiert: WikiLeaks sei für ihn kein Partner, sondern war eine Quelle zum Abgreifen. Er wechselt die Plattform betreffend in die Vergangenheitsform. Zeitweise hätten 50 Leute daran gesessen, um das Rohmaterial aufzuarbeiten. Dass das Material der Plattform des belächelten Julian Assange dem politischen Nachrichtenmagazin eine Ausgabe mit der stärksten Auflage 2010 beschert hat, erwähnt er nicht.

Die Interviewsituation mit Julian Assange wirkt konspirativ. Mitten im Gespräch fällt plötzlich das Licht aus, ein kurzer Moment der Irritation: wird die für Assange unangenehm bohrende Befragung abgebrochen? Das Gespräch bleibt über die gesamte Dauer fragil: Assange verteidigt sich und monologisiert, verzettelt sich in Details, nuschelt, wird unverständlich. Am Ende gibt es höflichen Applaus. Aber die weitestgehende Ignoranz bei den folgenden Diskussionen gegenüber der von Assange aufgeworfenen Themen macht deutlich: in der Welt von „Medienprofis“ wie Spiegel-Redakteuren oder ARD-Hauptstadtjournalisten ist Assange eine Figur, die eine gute Story hergibt. WikiLeaks ist für sie eine Seifenoper geworden, nachdem keine aufregenden Materialien mehr erwartet werden. Die Kritik Assanges an der „vierten Gewalt“ Journalismus, welche eigennützige Zielsetzungen folgt, verhallt inmitten von Fachleuten, die derzeit eher herausfinden müssen, wie sie künftig von ihrem Handwerk leben können.

Der komplette Auftritt auf der N24-Webseite

(Foto: Julian Assange by Espen Moe)