Die Verwandlung des Phoenix

Verwahrlos und zunehmend orientierungslos. Joaquin Phoenix will nur er selbs sein.

Ende 2008 verkündete Joaquin Phoenix seinen Rückzug aus dem Schauspiel-Business und bot damit zwei Jahre lang Anlass zu wilden Spekulationen. Stand er nach dem Welterfolg der Johnny Cash-Biografie „Walk The Line“  als Verkörperung des tragischen amerikanischen Nationalhelden und Country-Stars im Rampenlicht, war er in der Folge kaum wieder zu erkennen. Mit zotteliger Haarpracht, beachtlichem Vollbart und einer ordentlichen Plauze trat er scheinbar widerwillig in der Öffentlichkeit auf, wirkte abwesend, kaute Kaugummi und beschimpfte Journalisten.

Hollywoods Gerüchteküche brodelte. Was war los mit ihm? Plötzlicher Sinneswandel, zu viele Drogen, völlig durchgeknallt oder alles nur inszeniert? Phoenix neuer Film „I’m Still Here“ beantwortet die Frage. Oder auch nicht.

Am Anfang des Films gibt Phoenix preis, dass er sich selbst nicht mehr als Rolle spielen will. So ein Statement ist nicht ungewöhnlich. Stars haben häufig das Bedürfnis sich neu zu erfinden und mit ihrer Identität zu spielen. Denn sie müssen „funktionieren“, wie es eine mediale Öffentlichkeit erwartet. Auch Phoenix leidet darunter nach seinem Riesenerfolg als Johnny Cash in „Walk The Line“. Er verkündet, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen und lehnt weitere Rollenangebote ab, um ungestört an einer neuen Karriere zu basteln: Phoenix mutiert zum Rapper J.P.

Joaquin Phoenix versucht sich als Rapper.  Mit eher mäßigem Erfolg.

Doch seine Songtexte sind schlecht und sein wenig rhythmischer, nuscheliger Rapstyle stoßen auf allgemeine Ablehnung und zerschmetternde Schadenfreude. Sean Combs alias P. Diddy, von dem er sich tatkräftige Hilfe erhoffte, hat nur verständnislose Blicke für ihn übrig: Für die allein lohnt es sich, den Film anzuschauen.

Im Laufe des Films nimmt Joaquins Drogenkonsum scheinbar proportional zu seiner ungezähmten Körperbehaarung zu, begleitet von bezahltem Sex und verbalen und nonverbalen Fäkalattacken. Diese Sequenzen erinnern zum Teil stark an “Jackass” oder “Borat”. Immer stärker hofft man, dass Phoenix doch nur schauspielert. Alles andere wäre tragisch und unerträglich. Wacklige Handkamera und der miese Sound schaffen einen Eindruck des Privaten. Bei diesen Absturz dürfen Zuschauende unmittelbar teilhaben. Und dennoch: obwohl Phoenix zunehmend zum asozialen Ekel mutiert, empfindet man Mitleid mit ihm. Der Phoenix wird zur Asche.

Joaquin Phoenix demontiert sich selbst

Joaquin Phoenix ist als J.P. so authentisch, dass man ständig daran zweifelt, ob er diese Rolle wirklich nur spielt. Ein Funken Wahrheit kann wohl auch nicht geleugnet werden – schließlich brauchte er nach der Darstellung des alkoholabhängigen Johnny Cash in „Walk The Line“ selbst einen Entzug.

Im Film stellt Phoenix zwar einen gestörten Typen dar, der aus den Mauern seiner Selbst auszubrechen versucht, doch ist sein Anliegen viel tiefgründiger. Sein Alter Ego J.P. kann als subtile Kritik am Starsystem in Musik und Film gewertet werden: Stars werden gefeiert, verhöhnt, verrissen und verstoßen. Man denke nur an Britney Spears oder Amy Winehouse.

Casey Afflecks Regie-Debüt „I’m Still Here“ irritiert, amüsiert und regt zum Nachdenken an. Das oftmals schwierige symbiotische Verhältnis zwischen Medien und Stars, das häufig eine gefährliche Gratwanderung darstellt, wird aus der Perspektive eines Gebeutelten betrachtet.

Das offene Ende des Films gefällt und erlaubt Freiräume zur eigenen Interpretation. „I’m Still Here“ ist eine verrückte Produktion, die auf jeden Fall sehenswert ist.

“I’m Still Here”, USA 2010, 108 Min, Regie: Casey Affleck; mit: Joaquin Phoenix, Antony Langdon, Carey Perloff, Larry McHale, Casey Affleck, Jack Nicholson, Billy Crystal, Danny Glover, Bruce Willis, Robin Wright / ab 11.8.2011 in Moviemento (Kottbusser Damm 22, Berlin-Kreuzberg) und Central (Rosenthaler Str. 39, Berlin-Mitte)