So war’s: Off Festival 2011

In der Nähe eines Zivilflughafens und einer ehemaligen Militärflugbasis zieht das Off Festival jährlich Anfang August tausende Besucher an. Diesmal waren es knapp 17 000. Damit ist es zwar nicht das größte Open Air Polens, aber dank der unkonventionellen und sachkundigen Musikauswahl eines der besten, was Indie und Elektronik angeht. Gegen die Bandbreite, die geboten wird, sieht ein Melt Festival in Deutschland geradezu brav aus. Dieses Jahr reichte die Spannweite von den polnischen Punk-Ikonen Dezerter, über die französischen Computerspiel-Fans Gangpol & Mit bis hin zu Ex-Sex Pistol Johnny Rottens Band P.I.L..

Das Festival verlief auf vier Bühnen, von denen jeweils zwei gleichzeitig bespielt wurden. Glücklicherweise kam man dabei selten in die Klemme, etwas zu verpassen, was man wirklich sehen will. Denn Underground fand abwechselnd auf den zwei kleineren Bühnen statt, zwischen denen es sich gut hin- und hertingeln ließ. Natürlich gab es auch Fressalien und Getränke. Dabei war es schon etwas enttäuschend zu sehen, dass es kein polnisches Bier gab, sondern das Gebräu einer niederländischen Brauerei! Wenigstens gab es polnische Spezialitäten wie Piroggi und Kwas!

Höhepunkt des ersten Tages war neben den Headlinern Mogwai die Junior Boys. Deren aktuelles Album hat ja schon BLN.FM Redakteur Mijk van Dijk überzeugt und auch live funktionieren sie allemal. Vor allem Jeremy Greenspans Gesang ist grandios – So klingt Pop in Hochform! Weniger soft ging es bei dem französischen Duo Gangpol & Mit zur Sache. Die beiden ließen sich von den Soundtracks von vornehmlich älteren Computerspielen inspirieren (siehe unsere Review). Dabei boten sie nicht nur ein Live-Konzert, sondern eine Multimedia-Show. Auf einer Leinwand hinter den beiden liefen Comics, jeder für sich schon sehenswert, manchmal auch pornografisch und brutal. Hin und wieder ließen sie eine kleine Handpuppe vor der im Laptop eingebauten Webcam „singen“! Musikalisch auf die Dauer etwas anstrengend, aber live eine Riesenshow! Die episch anmutenden Songs von Mogwai bereiteten dann den Grund für die Slowcore-Musik von Low. Die ruhig dahingleitenden Duette von Mimi Parker und Alan Sparhawk in den frühen Morgenstunden waren genau das Richtige für einen entspannten Ausklang eines Festivaltages.

Der Samstag Nachmittag gehörte hauptsächlich polnischen Künstlern. Das war so ziemlich der einzige Zeitraum, in dem man nicht so genau wusste, was einen erwartet. Gut, um auf Entdeckungsreise zu gehen! Die beiden Schwestern Zusanna und Barbara Wrońska bilden zusammen das Duo Ballady i Romanse, was sich nach einem Buch von Adam Mickiewicz benannt hat, dem Nationaldichter Polens. Ihr melancholischer Pop überzeugte. Eine Stunde später spielten Mikrokolektyw auf der gleichen Bühne: mit Minimoog, Sampler, Trompete und Schlagzeug kreiert die Band eine ziemlich eigene Stimmung.

Und die internationalen Gäste? Etwas enttäuschend war die Darbietung der texanischen Chillwaver Neon Indian. Bei ihnen hatte man das Gefühl: „Ok, die spulen ihr Programm runter und nichts weiter, keine Energie, kein Versuch dem Zuschauer das Gefühl von einem einmaligen Moment zu vermitteln.“ Sie ratterten danach stupide Phrasen wie „You are the best crowd we’ve ever had“ runter –  nach dem zehnten Mal einfach peinlich! Das Ruder herumgerissen haben dann die Kalifornier von Xiu Xiu. Das Projekt von Jamie Stewart bot in einigen Momenten puren Noise, in anderen zuckersüßen Pop, vor allem aber eins: eine gute Show. Ebenfalls überzeugen konnten Primal Scream um Bobby Gillespie. Die Band befindet sich gerade auf ihrer Tour zur kürzlich erschienen DVD „Screamadelica Live“ und spielte viele Klassiker ihres 1991er Albums gleichen Namens. Zu keinem Zeitpunkt kam bei ihnen Langeweile auf und zum Ende hin schien es, als ob sich die gesamte Zuschauermenge vor der Bühne bewegte. Toller Auftritt!

Der Sonntag macht das Festival komplett. Recht früh spielte am Sonntag das Popduo Dva. Mit Synthie, Sampler und Klarinette oder Saxophon kämpften sie beim Auftritt zeitweise mit sehr starken Rückkopplungen auf unterschiedlichsten Frequenzen. Das schadete ihrem Auftritt nicht sonderlich, weil die Band es schaffte das Publikum zum ausgiebigen Tanzen anzuregen. Danach ging es gleich gut weiter mit Paris Tetris, einem international besetzten Quartett mit eigenem Label (Lado ABC) weiter. Sängerin Candi entwickelte auf der Bühne eine ungemeine Strahlkraft, wenn sie die eingängigen, aber durchaus komplex komponierten Songs interpretiert.

Pünktlich zum Ende des Gigs von Paris Tetris zog ein Gewitter über das Festivalgelände, was das gesamte Areal innerhalb von 5 Minuten in eine riesige Schlammpfütze verwandelte. Das führte im weiteren Verlauf zu Verzögerungen auf der Hauptbühne, da die komplette Technik in Windeseile regenfest eingepackt werden musste. Glücklicherweise hat Twin Shadow in einem Zelt gespielt, das nicht nur wegen des Wolkenbruchs bis zum letzten Zentimeter gefüllt war. Dort wurden er und seine Band mit ihrem atmosphärisch dichten Retro-Lofi-1980er-Synthiepop frenetisch gefeiert – zu Recht! Im krassen Gegensatz dazu kamen Konono No.1 komplett ohne Strom aus. Die afrikanische Gruppe breitete statt dessen aus selbstgemachten Instrumenten und Trommeln einen Teppich aus Rhythmen: Tanzmusik, die einen in Trance versetzen konnte. Da gab es wohl keinen, der nicht mindestens mit dem Fuss gewippt hat.

Schweissgebadet und schon recht erschöpft folgte der letzte Teil des Abends mit Igor Pudlos alias Igor Boxx musikalisch aufbereiteter Geschichtserzählung über die letzten Tage Breslaus vor dem Einmarsch der roten Armee. Das Album „Breslau“ wurde in Deutschland in keinster Weise beworben – die Thematik ist auch 65 Jahre nach Kriegsende heikel. Der Auftritt war leider nicht sonderlich gut besucht, was aber an dem zeitgleichen Auftritt Johnny Rottens auf der Hauptbühne lag. Die extrem starken Visuals, das bis zur Unkenntlichkeit verzerrte, live gespielte Saxophon und die düsteren Beats und Flächen machten ihn jedoch trotzdem zu einem der einprägsamsten Auftritte des gesamten Festivals.

Nach drei Tagen beim Off Festival in Katowice bleibt ein toller Eindruck. Die Bands sind handverlesen vom Festivalmanager Artur Rojek, der selbst einer der bekanntesten Musiker Polens ist. Deshalb findet man auch keinen musikalischen Totalausfall. Wer an einem Festival mit rein elektronischen Programmpunkten interessiert ist, für den ist das Tauron in Katowice Ende August vielleicht die bessere Wahl, allen anderen sei das Off Festival empfohlen. Atmosphäre, Preis und vor allem die Auswahl der Bands machen es zu einem unvergesslichen Erlebnis.

(Photos: Ewa Dajer)