Der rhythmische Klang von Anarchie

„Was ist Musik?“, fragte Justus Köhnke vor einigen Jahren. Eine mögliche Antwort auf diese noch viel ältere Frage findet man heute bei Wikipedia: „Musik (…) ist eine organisierte Form von Schallereignissen.“ Das heißt, Musik muss nicht schön klingen, schon gar nicht für jeden. Sie kann harmonisch sein, aber genauso gut auch nur aus Rhythmus bestehen. Oder aus Krach. Die schwedische Komödie „Sound of Noise“ zeigt, wie gegensätzlich Musik und ihre subjektive Wahrnehmung sein kann: leise und laut, genial und grottenschlecht, ein kulturelles Ereignis ebenso wie ein terroristischer Akt.

Während die einen – eine Gruppe mehr oder weniger anarchistischer Drummer – es als ihre Aufgabe sehen, ein Zeichen gegen die Allgegenwärtigkeit „schlechter Musik“ zu setzen, möchte der Andere am liebsten endlich seine Ruhe. Amadeus Warnebring (Bengt Nilsson) stammt, wie sein Vorname bereits vermuten lässt, aus einer äußerst musikalischen Familie. Doch jegliche Form von Musik – Joseph Haydns Sinfonie mit dem Paukenschlag genauso wie bloßes Gedudel aus dem Radio – bereitet ihm seelische und körperliche Schmerzen. Wovon er träumt, ist Musik, die still ist. Doch als Chef der Terroreinheit muss er das Rätsel um die maskierten Musikfanatiker lösen, die an öffentlichen Orten wie dem Krankenhaus oder der Philharmonie ihre bizarre Symphonie „Music for One City and Six Drummers“ aufführen und dabei auf Recht und Ordnung pfeifen. Allerdings könnten sich die verhassten Musikterroristen schon bald als die langersehnte Lösung für den ruhebedürftigen Polizisten herausstellen.

Die Idee, dass sich sechs Drummer musikalisch an fremdem Eigentum austoben, haben die beiden Regisseure Ola Simonsson und Johannes Stjärne Nilsson bereits in ihrem Kurzfilm „Music for One Apartment and Six Drummers“ umgesetzt, der 2001 in Cannes für die goldene Palme nominiert war und seitdem mehr als 30 internationale Auszeichnungen gewonnen hat. „Sound of Noise“ ist der gelungene Versuch, dieses Konzept auf Spielfilmlänge auszuweiten. Unterhaltsam ist der Film somit auf mehreren Ebenen. Zum einen ist da die Absurdität seiner Grundidee, zum anderen überzeichnet er auf sympathische Weise die klischeehaften Macken der Protagonisten. Hierbei nimmt sich „Sound of Noise“ nie zu ernst, ohne die Grenze zum billigen Klamauk zu überschreiten.

Allein die Musikperformances sind schon hörens- und sehenswert, sie funktionieren wie kurze Musikvideos und sind auch ähnlich entstanden. Denn anders als üblich existierte bei diesem Film zunächst die Musik. Erst dann wurde die visuelle Choreographie dazu entworfen. Vielleicht ist es gerade die Verknüpfung zwischen den klingenden Gegenständen und der Darstellung ihrer Klangerzeugung, die den meist sehr gewöhnlichen Geräuschen ihre Musikalität entlockt.

Der Versuch, die Grenzen zwischen Geräusch und Musik auszuloten, ist nun nicht unbedingt etwas Neues.  Stomp ist dafür ein erfolgreiches Beispiel, sehenswert ist aber auch John Cages „Water Walk“ von 1960. „Sound of Noise“ bringt diese Idee gekonnt und auf sehr unterhaltsame Weise in das Spielfilm-Format. Und ganz still und heimlich regt einen der Film vielleicht sogar dazu an, über das ganz persönliche Verhältnis von Musik, Lärm und Stille nachzudenken.

Sound of Noise, Komödie, Krimi / Schweden 2010, 101 min, täglich ab 11.8.2011 im Colloseum, Schönhauser Allee 123, Berlin-Prenzlauer Berg, U-/S-Bahn: Schönhauser Allee