Am 8. Juni war Schluss: Keine Hollywood-Blockbuster, weder die Lieblings-Serie noch einen Dokumentarfilm gab es an diesem Abend umsonst auf der heimischen Couch vor dem Rechner zu sehen, denn kino.to wurde über Nacht durch Staatsgewalt vom Netz genommen. Auf der Webseite, wo noch am Vortag unzählige Filme lockten, wies die Kriminalpolizei die Nutzer nun schwarz auf weiß darauf hin, dass die Domain „wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen“ geschlossen wurde.
Manche Nutzer dürften sich ertappt gefühlt haben, angesichts der nebulös-konkreten Ankündigung, dass auch die Internetnutzer mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen hätten, wenn sie „Raubkopien von Filmwerken hergestellt oder vertrieben haben“. Im Fall kino.to reichte der Arm des Gesetzes einmal weit in den virtuellen Raum: Mehrere Betreiber wurden festgenommen. Den Nutzern des illegalen Video-Portals bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Das Internet – rechtsfreie Zone?
In den Medien ging es in der Folge weniger um den Schaden, den kino.to den Filmemachern, Produzenten und Filmvertrieben durch den illegalen Vertrieb zufügte. Stattdessen verstanden sich diverse Tageszeitungen als Anwälte der Zuschauer. Sie klärten darüber auf, ob die „besorgten Nutzer“ der Webseite mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen hätten. Nutzer kämen wohl glimpflich davon, da sich längst nicht alle Urheberrechtsexperten darüber einig sind, dass das Streaming und der Download von illegalen Filmkopien gesetzeswidrig sind (siehe dazu: Tagesspiegel). Außerdem fehle es bisher an eindeutigen Gerichtsurteilen, was für die Konsumenten ebenfalls entlastend wirkt.
Die Debatte zeigt jedoch, wie es um die Wertschätzung von Filmen und ihren Machern bestellt ist. Das Internet konkurriert heute mit Kinos und dem klassischen Fernsehprogramm und entkoppelt dabei oftmals die Filme von deren Produzenten. Nicht das besondere Filmerlebnis steht im Vordergrund, sondern das kostenlose Konsumieren aus einem riesigen, unendlichen Angebot. Leider geht dabei der Blick für die Menschen verloren, die hart an der Umsetzung der Filme gearbeitet haben. Und die davon leben, dass für das Filmerlebnis gezahlt wird.
Der virtuelle Raum bietet in seiner Globalität Gesetzeslücken, die illegale Betreiber unerkannt bleiben lassen. Bis zu vier Millionen Menschen – überwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – nutzten kino.to täglich. Nach der Schließung können sie auf andere Portale umsteigen, die ebenfalls illegal Filme anbieten. Genau da liegt das Problem! Die Filme kursieren nicht einfach im Netz, sie haben Urheber. Sie wurden oftmals von großen Teams über Monate, teils sogar Jahre, produziert und durch staatliche und europäische Gelder finanziert, die zumindest ansatzweise wieder eingespielt werden sollten. Die Grauzone im WWW ist zwar nicht hauptverantwortlich für das Minusgeschäft in der Filmindustrie, aber sie verschärft das Problem, da weniger Menschen den Weg in die Kinosäle finden oder die Rundfunkgebühren zahlen, wenn die Filme kostenlos im Netz zu finden sind. Vielen Zuschauern scheint oftmals das Bewusstsein für diesen Zusammenhang zu fehlen. Die „Alles-Umsonst-Mentalität“ gewinnt.
Gibt es faire Alternativen im Netz?
Dabei kann der Online-Vertrieb über das Internet auch eine Chance für Filmproduzenten und filmbegeisterte Nutzer sein. Es gibt bereits einige Portale, die Filme legal zum Download oder als Stream anbieten: mubi.com, filmmit.com oder docalliancefilms.com. Ein anderes ist das Portal realeyz.tv, mit Sitz in Berlin-Kreuzberg. Es ist seit 2009 im Aufbau. „Im Moment haben wir rund 300 Filme im Angebot, pro Monat sollen etwa 50 Filme hinzukommen“, erklärt Patricie Pouzarová, verantwortlich für das Marketing. Diese Zahlen klingen nicht überwältigend angesichts des Überangebotes auf vielen illegalen Plattformen. Aber sie stehen für ein faires Geschäftsmodell.
Die Mitarbeiter von realyz.tv wählen die Filme persönlich aus. Dafür fahren sie auf Filmfestivals und stehen im direkten Kontakt zu den Lizenzgebern, seien dies nun Produzenten, Verleihfirmen oder die Regisseure selbst. An den Einnahmen, die durch das kostenpflichtige Streaming erzielt werden, werden die Lizenzgeber zu 50 Prozent beteiligt. Bei einem durchschnittlichen Preis von 2,50 Euro pro Film dauert es manchmal lange, Produktionsfirmen vom Online-Vertrieb zu überzeugen. Doch gerade als weitere Möglichkeit Filme zum Zuschauer zu bringen, wird die wirtschaftliche Auswertung auf Video on Demand-Plattformen neben klassischen Festivals, TV und Kino wichtig.
Darüber hinaus finden Independent-Filme, an denen sich quotenorientierte Entscheidungsträger aus der Kino- und Fernsehbranche nicht die Finger verbrennen wollen, einen Weg zu interessierten Zuschauern. Anspruchsvolle Video on Demand-Anbieter können dabei auf besondere Filme aufmerksam machen, die sonst untergehen. Patricie Pouzarová erklärt dazu ihre Strategie: „Das Besondere an realeyz.tv ist die Selektivität. “ So können die Nutzer auf dem Portal viele Filme finden, die zwar auf Filmkunstfestivals zu sehen waren – aber die es nirgendwo anders gibt. Das Berliner Filmkunsthaus Arsenal ist dehalb auch mit dabei: Es erhielt auf dem Portal einen eigenen Channel, um Raritäten aus dem Filmarchiv einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen.
Ein Ansatz, den die Portale im Vergleich zu illegalen Anbietern verfolgen, ist neben der Selektivität die Schaffung einer Community für Filmfans. Bei realeyz.tv und mubi.com haben Nutzer ein Profil. Sie können Filme mit anderen Nutzern diskutieren, eigene Einträge in’s ein Blog stellen oder mit Filmwünschen an die Redaktion herantreten. Die Redaktion der Seite liefert dazu Hintergrundinformationen zu Filmen und Empfehlungen: Nutzer bekommen so ein Gefühl für den Film und seine Macher. Vielleicht verstehen diese Nutzer deshalb besser, warum für Filmkunst gezahlt werden sollte.
Trotz der guten Ansätze muss die Zahl der zahlenden Nutzer drastisch steigen, damit sich alternative Video on Demand-Angebote selbst tragen. Bisher finanzieren sich Portale zum Großteil durch das Media-Förderprogramm der Europäischen Union. Die aktuelle Förderung reicht von 2007 bis 2013. Wie es weiter geht, wenn die Angebote noch nicht rentabel sind, ist unklar.
Zukünftig müssen die legalen Video on Demand-Angebote stärker publik gemacht werden. Über soziale Netzwerke finden zwar viele potentielle Nutzer den Weg zu den Portalen, doch die Entscheidung einen Film zu kaufen und nicht nur die kostenlosen Bonusangebote zu konsumieren, liegt bei ihnen. Monatliche Flatrates, eine benutzerfreundliche Oberfläche und eine besondere Filmauswahl sollen Filmfreunde binden. Ob sie bei der breiten Bevölkerung greifen, die gern kostenlos im Internet konsumiert, bleibt abzuwarten. Dabei bieten die Portale Chancen für die Filmindustrie: Ähnlich wie das Crowdfunding, bei dem potentielle Zuschauer unabhängige Filmprojekte direkt vorfinanzieren, bieten Video on Demand-Angebote neue Möglichkeiten für Produzenten an Lohn für ihre Arbeit zu kommen. Nun gilt es die Massen zu mobilisieren!
(Die Autorin dreht selbst Filme.)