Micachu & The Shapes – Chopped And Screwed

Als 2009 die Experimental-Pop Newcomer-Sensation Micachu & The Shapes auf der Bildfläche erschien, schrie die Fachwelt verzückt auf. Mica Levi alias Micachu, die eigentlich Geige und Bratsche lernte und an der renommierten Purcell School Komposition studierte, hatte die Formation mit zwei Schulfreunden gegründet, weil ihr die Musik, mit der sie sich befasste, zu verstaubt war. Die Klassikwelt sei tot, sagte sie damals.

Michachus Debüt-Album „Jewelry“ war dann auch nur wenig klassisch, ein Meisterstück roh verwaschener Grime- und Garage-Sounds – eingespielt auf selbstgebauten Instrumenten und Haushaltsgegenständen wie Flaschen und Staubsaugern. Jugendlicher Musik-Revolutionsgeist in Reinkultur, beflügelt durch den Beistand von Sampling-Wizard Matthew Herbert.

Die zweite Platte „Chopped And Screwed“ kommt nun, zunächst äußerlich, als Kontrastprogramm daher. Mal eben mit The London Sinfonietta aufgenommen, einem Kammerorchester für zeitgenössische Musik, das 2009 den bedeutendsten Preis der Britischen Klassikwelt, den PRS Award, gewann.

Tatsächlich ist „Chopped And Screwed“ verkopft, konzeptionell und experimentell. Die wichtigste Veränderung zum Vorgänger ist die weitgehende Abkehr von der Popsong-Struktur, dominant ist eine gewisse grundlegende Monotonie. Micachu & The Shapes überschreiten damit die unscharfe Grenze von der Unterhaltungs- zur Ernsthaften Musik: Klangkonstrukte werden aus pendelnden, wabernden verzerrten Streicherklängen erzeugt, darüber liegt zärtliche Perkussion auf Glas- und Metallgegenständen und Gesang wie aus dem Flugzeug-Hangar, zu hören etwa beim ersten Track „State of New York“. Eine derart angedeutete Urbanität schlägt sich ebenfalls im nächsten Titel „Unlucky“ nieder: Über verzerrte Slides und Kantilenen erhebt sich das zurückhaltende, aber dennoch dominierende Klavier. Die klassischen Instrumente verschwimmen in der Verzerrung zu den Hupen von Lastwagen oder Sirenen.

Wem das zu anstrengend ist, der findet vielleicht Wiedergutmachung in doch eher konventionellen Songs wie „Everything“ mit seinem treibenden Rhythmus, flirrenden Streicherklängen und melodischem Gesang.  Ähnlich auch „Low Dogg“ (Track 7), das vom Gestus etwas an „We Will Rock You“ erinnert. Bemerkenswert ist auch das archaische Flötenkonzert mit dem Namen „Medicine“. Durch einen Einschlag von gregorianischem Choral entsteht hier eine mittelalterlich eingefärbte Stimmung.

Man merkt: Ein Album, das in fast aleatorischer Manier Klänge baut und dabei wenig Grenzen kennt. Micachus Abarbeitung an und Versöhnung mit der klassischen Musik gestaltet sich meist kunstvoll und interessant und stellt eine Abkehr vom jugendlich-spritzigen Schredder-Sound dar. Die Möglichkeiten des klassischen Klangkörpers werden erkannt und genutzt. Dennoch: Vor lauter Katzenjammer und musikalischem Durcheinander, das sich bei manchen der Collagen einstellt, kann man es jedoch niemandem verdenken, wenn er in einem Moment der Schwäche das Abspielgerät zum Teufel wünscht.

Preview:

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Tracklist:

  1. State Of New York
  2. Unlucky
  3. Everything
  4. Average
  5. Freaks
  6. Medicine
  7. Low Dogg
  8. Fall
  9. Not So Sure

(Rough Trade)