David Minor – Lush

Es gab eine Zeit, ein paar Jahre nach dem letzten Weltkrieg, da vertraten manche eine strikte Trennung in der Kultur. Unterhaltung versus Ernsthaftigkeit oder wofür auch immer die Buchstaben U und E neben der Musik stehen. Unterhaltung, das war der Teufel! Das war Jazz und Schlager und hinter Textzeilen wie „Schubidu“ und „Schalala“ befürchteten kritische Geister wie Theodor W. Adorno, der Oberlehrer der Frankfurter Schule, Anzeichen für den nächsten Weltuntergang. Ein Weltuntergang, der von der bösen Kulturindustrie als next big thing im Sinne von Diktator angeführt und von den Massen in Form höriger Hörer ausgeführt werde. Denn wer Kultur nur konsumiert anstatt sich mit ihr auf intellektueller Ebene auseinanderzusetzen, so die Befürchtung, werde auf Dauer geistig verkümmern und die Unterscheidung zwischen Richtig und Falsch dem Strom überlassen, mit dem er schwimmt.

Zu jener Zeit war Popmusik nicht einmal halb so alt wie heute, und in der Zwischenzeit ist viel passiert. Adorno ist schon lange tot und was die Kultur angeht, sitzt der Unterhaltungsteil sich auf seinem postmodern-quietschbunten Thron den Hintern platt, während die E-Musik dahinsiechend an den Schläuchen lebenserhaltender Systeme wie der staatlichen Subventionierungsmaschinerie hängt – könnte man meinen. Bevor aber endlich erklärt werden soll oder auch nicht, was das ganze mit dem vorliegenden Album zu tun hat und mit Kritik und Rezension, sollte unbedingt erwähnt werden, dass die Welt am Pop dann doch noch nicht untergegangen ist. Und während sie dies nicht tat, haben immer wieder Teile und Teilnehmer der ernsthaften Musikkultur mit der Unterhaltungsindustrie geliebäugelt und umgekehrt. Die Liste der Rock-Popper, die ihrem Schaffen durch Kollaborationen mit Sinfonieorchestern oder manchmal auch Opernsänger/innen einen edlen Glanz zu verschaffen versuchten, ist lang. Und längst haben auch die Geisteswissenschaften begriffen, dass Popmusik nicht ausschließlich der schnöden Unterhaltung dienen muss, sondern mitunter auch politische oder andere Werte transportieren kann.

Doch kommen wir zum Punkt. Kommen wir ihm zumindest einen Schritt näher. Dass eine Albumkritik nach etwa dreihundert einleitenden Wörtern noch mit keinem einzigen den Künstler oder das Werk erwähnt hat, ist aus redaktioneller Sicht eigentlich unvertretbar, denn höchstwahrscheinlich hat nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Leser bis hierhin durchgehalten. In gewisser Weise hat das aber System, denn David Minors aktuelles, zweites Album ist auch kein Stück Popmusik, das zielgerichtet auf den Punkt namens Unterhaltung kommt. Stattdessen ist es wie eine Sammlung experimenteller Melodien, Rhythmen und Geräusche, die ein Hörer mit ungenügend Willen und Geduld wohl nur schwer einzuordnen weiß. Im Zweifelsfall heißt es dann: file under „anstrengend“. Der Zweifelsfall ignoriert jedoch, dass es auf „Lush“ einiges zu entdecken gibt, vorausgesetzt man hat einen ausreichend offenen Begriff von Musik. Anstatt um eingängige Songstrukturen kümmert sich David Minor um die kleinteiligen Aspekte elektronischer, sozusagen künstlerisch wertvoller Musik. Zu seiner Stimme, die mal effektbeladen distanziert, ein anderes mal aus beinahe intimer Nähe jazzig oder sogar atonal klingende Melodien singt, gesellen sich neben mehr oder weniger organischen Beats und allerhand Geräuschhaftem auch einige klassische Musikinstrumente. Oft klingt es dann, als wäre ein Sampler in den Orchestergraben gefallen. Und in strukturiert lückenhaften Geschichten erzählt er scheinbar nicht nur vom Zusammenspiel des Ganzen, sondern auch von dem Moment, in dem die Violinisten ihr Instrument stimmen und die Blechbläser sich warmspielen.

David Minors „Lush“ ist ernste Unterhaltung, wobei sich der unterhaltsame Teil dem gewöhnlichen Hörer sicher nicht sofort mitteilen wird. Doch der Sinn experimenteller Musik wie dieser ist es ja vielleicht, die konventionellen, festgefahrenen Strukturen der Popmusik zu hinterfragen, sie mehr oder weniger radikal aufzulösen und als akustische, verstörende Monster neu zusammenzuflicken. Ob diese kleinen Monster nicht aus dem einen oder anderen Blickwinkel betrachtet doch auch eine gewisse Schönheit an den Tag legen, wird sich nur demjenigen offenbaren können, der sie mit gewissem Ernst und nicht nur als Mittel zum Zweck der Unterhaltung betrachtet. Oder wenn ein Video wie das von ME Raabenstein zu „Last Drudgery And The Day“ der Musik einen neuen Kontext gibt. Und während die Kamera dann im Einkaufswagen durch den Supermarkt irrt, fügt sich der etwas unrunde Takt in das Ganze und die Unruhe harmoniert im Sinne der Kunst.

Preview:

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Tracklist:

  1. Honey Cr Reprise
  2. Kant Shivers
  3. Holy Organic
  4. Lush
  5. Decent Race
  6. Lust Drudgery And The Day
  7. Cabbage Movements
  8. Athenas Perch
  9. Meander With Pope Free
  10. Honey Cr
  11. Swan Drown

(nonine recordings)