Der Stolz des Handwerkers

Der Erfolg des Technofilms Berlin Calling hat Paul Kalkbrenner 2008 im Steilflug in den medialen Technohimmel katapultiert. Plötzlich waren Massen an Menschen da, die ihm zugejubelt haben – vor der Leinwand, wie vor den Bühnen in immer größeren Hallen. Für den Titelsong „Sky and Sand“ des Films dankten ihm insbesondere verliebte Pärchen. Sogar auf Hochzeiten und Beerdigungen wurde der Track gespielt, sagt uns Paul Kalkbrenner im Interview.

Der ganze Rummel „zog mir so ein bißchen den Boden unter den Füßen weg“, gesteht er ein. Möchte er trotzdem an den Erfolg anknüpfen? Wenn man sich den Plan der umfangreichen Europatour 2011 anschaut auf jeden Fall – bis Weihnachten stehen über 40 Konzerte auf dem Programm, angefangen den Konzerten in der Berliner Wuhlheide Anfang Juni, die komplett ausverkauft waren. Größer als die Open Air-Konzerte in der Berliner Wuhlheide muss es aber nicht mehr werden. Paul: „Das Ende der Fahnenstange ist erstmal erreicht“. Das Olympiastadion ist für Paul Kalkbrenner also keine Option.

Das neue Album mit dem fast schon bescheidenen Titel „Icke wieder“ (Label: Paul Kalkbrenner Musik / RoughTrade) verfolgt allerdings ein anderes Ziel: Kein mediales Getöse um seine Person – sondern solider Techno und künstlerisches Handwerk soll hier im Mittelpunkt stehen!

Die elf Tracks kommen ohne Gesang aus. Und „auch die Musik von übermorgen gibt’s diesmal nicht von mir“, heißt es knapp in dem von Paul Kalkbrenner versendeten Pressetext zum Album, das am 3. Juni 2011 erschien. Soll es bewusst zu den Technowurzeln zurückgehen oder ist ihm einfach nur nichts neues eingefallen?

Wie man das Album auch interpretiert, es hört sich zumindest mal unverkennbar nach Kalkbrenner an – pochende Grundbeats, teilweise minimalistisch verkleidet. Mal sind die Tracks leicht und luftig, mal eher düster und verklärt. Die zum Teil rätselhaften Titel seiner Tracks sind aberwitzige Wortschöpfungen, die im engsten Freundeskreis entstanden sind und „so richtig drüber lachen kann wahrscheinlich nur icke“, schmunzelt Kalkbrenner. Diesmal dreht’s sich zum Beispiel um einen „Breuzen“, „Jestrüpp“ und ums „Schnakeln“. Ein Geheimnis hinter einer der Bezeichnungen konnte BLN.FM lüften: „Kleines Bubu“ bezieht sich nicht etwa auf ein kleines Nickerchen, sondern so nennt Paul seine Freundin, die DJane Simina Grigoriu.

Als Ritual vor Konzerten trägt er die Schnürsenkel seiner Schuhe sehr lose und zieht sie sich erst kurz vor dem Gang auf die Bühne ganz fest zu. Das bringt ihm eine gewisse Körperspannung. Mit Lampenfieber hat das allerdings nichts zu tun, das sei schon sehr früh weg gewesen, sagt Kalkbrenner. Auf der Bühne versinkt er in seiner Technik, fühlt sich wie unter einer Glocke. Vielleicht liegt das auch daran, dass er eigentlich kurzsichtig ist und dennoch auf eine Brille verzichtet. So bekommt er von den Publikum nur wenig mit. Trotzdem weiss er, daß die Bühne etwas Volksverführendes hat – das gibt schon Verantwortung.

Was er jedenfalls mitbekommt, ist, dass weltweit die Reaktionen vergleichbar sind. Technoparties mit Auftritten von Paul Kalkbrenner sind dann doch ähnlich wie ein „Big Mac“: weltweit gleich abgeschmeckt und von gesicherter Qualität. Darauf flippen alle weltweit in gleicher Weise aus. Das liegt nach Pauls Meinung an der Technosozialisation. Ob diese Gleichheit gut schmeckt, darüber lässt sich gerne streiten.

Paul Kalkbrenner im Interview

Matthias Hummelsiep sprach mit Paul Kalkbrenner: über alte Freundschaften, wer am meisten an „Berlin Calling“ verdient hat und scheinheiliges Ökodenken nach Fukujima.

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Fotos: Dani Doege