Massimiliano Pagliara – Die Unendlichkeit im Blick

Wäre es nach seinen Eltern gegangen, hätte Massimiliano Pagliara schon als Kind gelernt Klavier zu spielen. Aber er wollte lieber tanzen. Hätte er gewusst, dass er in seiner Zukunft Musiker und stolzer Besitzer eines Synthesizer-Fuhrparks sein würde, hätte er dem Wunsch seiner Eltern vermutlich etwas mehr Beachtung geschenkt. Auch die Mischung aus italienischer Popmusik, Whitney Houston und Prince im Plattenregal der älteren Schwestern weckte bei ihm als Kind wenig Begeisterung. Zu cheesy, fand er damals, denn er widmete sich stattdessen lieber amerikanischer Rapmusik. Seine erste selbst gekaufte Platte kam von Arrested Development. Heute lächelt der Italiener über seine Hip Hop-Vergangenheit, schließlich hat die Musik, welche er mittlerweile spielt, mehr Bezug zur Plattensammlung der Schwester als er es sich früher hätte träumen lassen. Und auch sonst lacht Massimiliano ziemlich viel während er mit uns über die Vergangenheit spricht, denn er hat allen Grund dazu. Wir trafen den Produzenten in seiner Friedrichshainer Wohnung zum Dinner, um über seinen musikalischen Werdegang und aktuelle Projekte zu sprechen.

Bekannt bist du als Musiker geworden, eigentlich hast du aber eine Tanzausbildung.

Ja, das Tanzen war lange Hauptbestandteil meines Lebens. Ich habe in Mailand eine Ausbildung in zeitgenössischem Tanz gemacht. Dann bin ich nach Berlin gekommen und habe hier lange als professioneller Tänzer gearbeitet, dazu gehörten auch Auftritte. Und eine Zeit lang habe ich auch unterrichtet. Nebenbei habe ich dann auch mit Videokunst angefangen und die verschiedene Elemente aus Tanzchoreographien und Installationen kombiniert. Musik war aber immer ein wichtiger Aspekt in meinem Leben. Ich hätte aber niemals gedacht, dass ich eines Tages DJ oder Produzent werde.

Wie bist du zum Auflegen gekommen?

Als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich angefangen auszugehen und das Berliner Nachtleben zu genießen. Das alte Ostgut hat mein Leben damals verändert. Ich hatte so einen Club nie zuvor gesehen. Das war einfach nur “Wow”! Ich hatte gerade mit elektronischer Musik angefangen, aber das war dann eher Musik von Aphex Twin, Board Of Canada oder Autechre. Diese Musik habe ich oft für meine Tanzchoreografien benutzt. Nachdem ich mich ins Technoleben gestürzt hatte, habe ich viele DJs kennen gelernt, die zu Hause Plattenspieler stehen hatten. Das hat dann mein Interesse geweckt. Es hat aber noch lange gedauert bis ich den endgültigen Entschluss gefasst habe mit dem Tanzen aufzuhören, um mich dann ganz der Musik zu widmen.

Obwohl du mit Techno angefangen hast, gingen deine Produktionen musikalisch in eine ganz andere Richtung. Wie kam es zu diesem Wandel?

Obwohl ich Italiener bin und auf die 1980er stehe, war ich zu jung, um etwas von Italo Disco mitzubekommen. In Berlin habe ich vor ungefähr sechs Jahren Daniel Wang kennen gelernt, der mir dann viel davon gezeigt hat. Da heb ich auch all die Synthesizer bei ihm zu Hause gesehen. Das hat mich sehr fasziniert. Er hat mir dann meine erste Synth-Lesson gegeben, mit dem Roland SH 101. Ich war total fasziniert, was man damit für Sounds machen kann. Auf einmal habe ich die einzelnen Elemente der Musik verstanden. Mit der Roland kann man gute Basslines, Solos, Arpeggios und auch Soundeffekte machen. Du schaltest das Ding ein, kurz „Cut Off Frequency“ und „Resonance“ und du hast schon einen Bass. Aber ich hatte auch einige Keyboardstunden, um Chords und die Grundlagen für Harmonien zu lernen.

Deine allererste Veöffentlichung war Oktober 2008 auf der „Cosmic Balearic Beats“-Compilation auf Eskimo. Wie kamst du zu diesem etablierten Label?

Ich habe damals Eskimo sehr gemocht und hatte großes Interesse an einer Veröffentlichung dort. Als ich meine erste Nummer fertig hatte, dachte ich mir, dass es vielleicht etwas für Eskimo ein könnte. Ich habe es ihnen geschickt und es hat auf Anhieb geklappt. Meine erste eigene EP war die “Transmission Florales” auf Balihu. Das war zwei Monate nach meine ersten Veröffentlichung. Ich war mittlerweile sehr gut mit Daniel Wang befreundet und hatte ihm immer meine Sachen vorgespielt. Als er das Stück hörte, sagte er sofort: “Das ist so gut, das will ich haben”. Die Balihu-Platte hat auf jeden Fall viel bewegt. Die Robert Johnson-Leute sind so auf mich aufmerksam geworden. Nachdem ein Freund von mir dem Robert Johnson-Gründer Ata eine CD mit unveröffentlichten Songs gegeben hatte, rief mich Ata eines Tages an und fragte “Hast du vielleicht noch ein paar neue Sachen? Wir machen ein neues Label, willst du mit uns eine Platte machen?” Und so erschien “Toxic Love” auf Live At Robert Johnson.

Wie würdest du deinen Sound beschreiben?

Cosmicdeepdiscopsychedelichouseraprock. Ich bewege mich soundtechnisch immer zwischen Disco und House und streife alles, was dazwischen ist wie Italo, Deep und Acid House und langsamer funky Cosmic Disco.

Samplest du auch? Arbeitest du in irgendeiner Art und Weise mit einer Software?

Nein. Keines meiner Stücke enthält Samples. Ich spiele in der Regel alles selber ein, aber wenn ich Gitarren brauche, frage ich meinen Liebling Jules Etienne.Ich benutze Ableton Live als Sequencer und addiere allerhöchstens Effekte, aber ansonsten ist alles analog eingespielt.

Du bist sehr aktiv als Produzent. Gibt es irgendwelche Projekte in naher Zukunft?

Mein aktuelles Nebenprojekt sind The Rimshooters. Das bin ich zusammen mit dem Brasilianer Rotciv, der das ReEdit Label Mister Mistery betreibt. Wir haben uns über Facebook kennen gelernt und haben uns dann angefangen musikalisch auszutauschen und schnell festgestellt, dass es musikalisch eine große Übereinstimmung gibt. Daraufhin hat er mich dann in Berlin besucht und wir haben die Zeit genutzt, um zu produzieren. Aus dieser Zeit sind einige Tracks entstanden, die wir nun auf Cosmic Club/Skylax veröffentlichen werden. Die Platte wird “The Jackin Theory” heißen und in Richtung Acid und House gehen. Geplant sind noch weitere EPs auf Slow Motion Records und Grande Buffo. Außerdem möchten wir uns als The Rimshooters auch auf Live Acts konzentrieren.

Unterscheidet sich deine Produktionsweise als Solokünstler von deinem Projekt “The Rimshooters”?

Rotciv hat viele ReEdits gemacht, sein Arbeitsansatz ist von daher samplebasiert. Ich hingegen spiele normalerweise alles selbst ein und verzichte auf digitale Produktionstechniken. Das macht unser Projekt sehr spannend. Es ist eine gute Mischung aus beiden Herangehensweisen.

Die analogen Housetracks von dir und Rotciv alias Rimshooters sind eher auf Funktionalität ausgelegt und sehr clubtauglich. Wird der langsame und melancholische Massi nach dem Album erst mal von der Bildfläche verschwinden?

Mich wird es als Massimiliano Pagliara weiterhin geben, dafür habe ich auch mittlerweile zu viele Fans (lacht). Interessanterweise war mein melancholischstes Stück “Sometimes at Night” bisher mein größter Erfolg. Den Text dazu habe ich selbst geschrieben. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob der Song so gut ankommen würde, weil er schon etwas Herzschmerz beinhaltet. Erstaunlicherweise habe ich genau durch diesen Song meine meisten Fans gewonnen und viele loben mich heute noch dafür. Von daher denke ich, dass Melancholie etwas ist, was viele Menschen empfinden und sich in solchen Liedern wieder erkennen.

Nebenbei hast du noch eine Band namens [Sic!]. Wie lang gibts euch schon?

Eigentlich schon seit drei Jahren. Mein Part sind die Drum Computer und die Synthesizer. Alessandero singt und spielt Keyboard, Simon ist ein Allroundtalent und kann jedes Instrument spielen. Manchmal spielt er auch Instrumente wie die Gitarre für einzelne Songs für mich ein. In unserer Band spielt er je nach Song Keyboard, Bass oder Gitarre. Unsere Richtung ist eher Pop, so in Richtung funky Discohouse. Wir haben unsere erste EP mit vier Stücken im Oktober 2010 auf Meakusma veröffentlich. Nun sind auch Remixe von “Orange Sky” von Errorsmith, Lowlow und Quarion erschienen.

Dein Album “Focus for Infinity” erscheint demnächst auf LARJ. Das Album wirkt sehr melancholisch. Steht das im Zusammenhang mit dem Titel?

Unendlichkeit, Grenzenlosigkeit (infinity) bedeutet für mich auch in gewisserweise Vielfältigkeit, bezogen auf mich, das Leben und auch die Musik. Man muss eine gewisse Weitsichtigkeit, besitzen, um unsere facettenreiche Umgebung (infinity) zu erkennen. Die Kunst liegt im Erkennen dieser, so entwickelt man sich weiter. Melancholie oder eine gewisse Dramatik bilden für mich eine künstlerische Grundlage. Die daraus resultierende Intensität und Tiefgründigkeit ist das, was mich packt und das versuche ich auch in meinen Songs umzusetzen. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass ich deprimiert durch die Welt gehe.

Am 6. Juni erscheint „Focus For Infinity“ auf Live At Robert Johnson. Im Laufe des Sommers folgen zwei Remix-EP von Tuff City Kids, B.H.F.V, Rotciv und Nicholas. Das Album erscheint als Doppel LP, CD und digital. Auf der Promo-Complation „Meilensteine – An Unmixed Compilation“, die du bei Soundcloud hören kannst, gibt Massimo Pagliara über die musikalischen Einflüsse, die ihn zu dem gemacht haben, was er ist.

http://soundcloud.com/massimilianopagliara/focus-for-infinity-album

http://soundcloud.com/massimilianopagliara/meilensteine-an-unmixed

Release-Partys:

  • 28.5.11 Robert Johnson Offenbach – Rimshooters aka Massimiliano Pagliara und Rotciv, Mock & Toof live
  • 08.6.11 Bob Beaman München – Rimshooters
  • 16.6.11 Salon zur Wilden Renate Berlin – Rimshooters, Ata, Discodromo, Baby G, Katovl, Paramida

(Interview: Paramida Sabay & Till Kolter / Fotos: Richard Kirschstein)