Im Simulatorzentrum der Kraftwerksschule Essen proben Reaktorenmannschaften deutscher Kraftwerke für den „nach menschlichem Ermessen ausgeschlossenen Ernstfall“ – alles wird durchgespielt, bis hin zum GAU. Im Atomkraftwerk Grohnde schwärmt der Pressesprecher von der Verneblungsmaschine, die das gesamte, idyllische Emmertal zum Schutz vor einer Flugzeugkollision in nur 15 Minuten in Nebel hüllen könne. „Unter Kontrolle“ zeigt den Apparat Atomkraftwerk als männerdominierten Mikrokosmos. Groß ist der Technikglaube der Protagonisten und bitter das Lachen der Zuschauer, die sich den Dokumentarfilm „Unter Kontrolle“ mit dem Wissen um Fukushima anschauen.
Der Film entstand, als noch alles unter Kontrolle war. Man fragt sich, wie die Aussagen ausgefallen wären, hätte sich der Reaktorunfall in Fukushima früher ereignet. Doch in diesem Fall wäre der Film mit Sicherheit nicht zustande gekommen. Denn die Atomkraftlobby führte gern ihre Kontrollmechanismen vor, kritischen Fragen stellte sie sich nicht. Nach einer Vorführung im Haus der Kulturen der Welt erzählt Regisseur Volker Sattel, dass ein Teil des Filmmaterials seitens der AKW-Betreiber nicht freigegeben wurde. Doch selbst wenn deswegen skandalöses Material fehlt, durch die aktuelle Katastrophe erhält die in sachlichen Bildern gefilmte „Archäologie der Atomkraft“, so der Untertitel des Films, eine besondere Brisanz. Sattels Co-Autor Stefan Stefanescu formuliert es treffend: „Nach Fukushima ist das Restrisiko kein Phantom mehr“. Das ominöse Restrisiko, im Film noch von Experten belächelt, ist nun Realität geworden. Der Verleih hat aus diesem Anlass den Kinostart von „Unter Kontrolle“ vom September auf den 26. Mai vorverlegt.
Drei Jahre nahm sich Sattel Zeit, um den Apparat Atomkraft in Deutschland und Österreich zu erforschen. Laut Regisseur, der selbst Kamera führte, gab es bisher keinen Dokumentarfilm, der so tief in die Innenwelt des Atomkraftwerks vordrang und seinen Blick auf die Kaste des „Atompersonals“ richtete. Tatsächlich präsentiert „Unter Kontrolle“ Atomkraftwerke als hermetisch abgeschlossene Systeme, die sich aus vielen Teilen zusammensetzen: Pumpen, Druckgefäße, Verkabelungen, blinkende Anzeigen, Brennstäbe, Reaktoren, Büros, Kontrollräume, Forschungsstätten bis hin zum Atommülllager. Sattel hat Bilder von diesen Räumen gesammelt. Menschen hingegen sind im Film über lange Zeit nicht zu sehen und wenn, dann aus der Distanz beobachtet, als routinierte Arbeiter im Getriebe. Aus dem Off wiederum, melden sich die dozierenden Experten der Atomkraftwerke zu Wort.
Das Gezeigte läßt Zuschauer den gesamten Komplex nicht begreifen, trotzdem ahnt man, dass es Schwächen im System gibt. Eine Szene ist bezeichnend: Mitarbeiter, die ihre Schutzanzüge abgelegt haben, tapsen in Feinrippunterwäsche ungelenk an der Kamera vorbei. So versinnbildlichen sie die menschlichen Unzulänglichkeiten im Apparat Atomkraftwerk. In den 17 noch aktiven Kernkraftwerken Deutschlands arbeiten keine Supermänner, sondern die Papis von nebenan. Ihre Fehlerquote soll von einer in die Jahre gekommenen Technik auf Null gehalten werden.
Nach und nach bröckeln die ästhetischen Bilder und unangenehme Tatsachen werden eingeräumt. So dümpelt in maroden Endlagern atomarer Müll vor sich hin, mit dem sich die Generationen nach uns beschäftigen müssen. Verstörend ist auch die Tatsache, dass die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in ihrer Datenbank rund 1.600 Fälle illegalen Umgangs mit nuklearen und radioaktiven Material verzeichnet. Die IAEO selbst fungiert nicht zwingend als Kontrollinstanz der Atomkraftwerke, sie gibt nur Empfehlungen und weist auf Risiken hin. Der konsequente Atomausstieg ist angesichts der erschreckenden Realität, die uns „Unter Kontrolle“ unkommentiert vorführt, die einzig sinnvolle Lösung.
„Unter Kontrolle“, Dokumentarfilm von Volker Sattel, Deutschland 2011, ab 26.05.2011 in den Berliner Kinos Broadway, fsk am Oranienplatz, Hackesche Hoefe und Neue Kant Kinos.