Amon Tobin – ISAM

Amon Tobin hat sich viel vorgenommen für 2011. Laut seines Heimatlabels Ninja Tune sollen dieses Jahr drei Alben veröffentlicht werden, darunter ein neues Album, ein neues mit seinem Projekt „Two Fingers“ (in Kollaboration mit dem Drum&Bass-Künstler Doubleclick) und ein Remix-Album zu seinem „Splinter Cell : Chaos Theory“-Soundtrack. Der gebürtige Brasilianer ist bekannt für seine unglaubliche Vielfalt an Sounds, die er stets in rhythmisch anspruchsvolle aber doch bis ins Kleinste durchdachte Kunstwerke zu verpacken wusste. Seine Musik ist selten leicht zugänglich und verdaulich, oft wirkt sie verstörend, voller Ecken und Kanten und herausfordernder Komplexität. Aber das macht Tobin auch zum Faszinosum in einer Liga mit anderen Soundtüftlern wie Aphex Twin oder Autechre. Die Neugierde angesichts seines nun achten regulären Albums ist dementsprechend groß. „ISAM“ heißt es und möchte den mit „Foley Room“ (2007) eingeschlagenen Weg weitergehen. Hatte er davor überwiegend mit bis zur Unkenntlichkeit verwandelten Samples gearbeitet, kamen hier verstärkt überarbeitete Field Recordings zum Einsatz, bevorzugt aus dem Tier- und Insektenreich. Im Rahmen der Produktion zu „ISAM“ arbeitete Amon Tobin mit der Künstlerin Tessa Farmer zusammen, die bekannt ist für ihre Arbeit mit Insektenkörper und -Überresten. Ihre gemeinsam erarbeitete Installation „ISAM: Control Over Nature“ ist derzeit in London zu sehen, eine Ausstellung in Paris ist angedacht. Auch das Coverbild zum Album enstand in dieser Kooperation.

Dass es also auch dieses Mal wieder ein erstaunliches Sammelsurium an Geräuschen und Klängen geben wird, war zu erwarten. Dass das Album dann doch eher enttäuscht, leider nicht. Ja, Amon Tobin ist ein bemerkenswerter Soundkünstler und würde man sich allein mit den von ihm kreierten Tönen, Klängen und Geräuschen beschäftigen, wäre man hier mit einem reichen Angebot bedient. Und ja, man hört auch hier die fast nerdige Intensität Tobins, seine Faszination an Ton und Klang, sein Spaß am Experiment. Doch man sucht vergebens in sich schlüssige Tracks, Spannungsbögen und die ausgleichenden leichteren Momente, die auch beim Hören komplexer, detailreicher Konstrukte aufkommen sollten. Die kompositorischen Fähigkeiten Amon Tobins sind hinter seiner Beschäftigung mit Sounddesign zurückgeblieben. Er beläßt es nicht bei einer bestimmten Anzahl Klänge und entwickelt sie zu einem nachvollziehbaren Resultat, sondern springt von Geräusch zu Geräusch, von Sample zu Sample. Dass er sie stets in ein in sich stimmiges rhythmisches Konstrukt zu ordnen weiß, täuscht nicht über den Eindruck hinweg, dass er sich ob der Vielfalt an Sounds nicht entscheiden konnte und alles zusammenwarf.

So ist es wie eine Führung durch ein musikalisches Gebäude, dessen Architektur so komplex und vielfältig ist, dass man viel Zeit bräuchte, um die Strukturen erfassen und verstehen zu können. Zeit, die einem Amon Tobin nicht lässt. Eher kriegt man das Gefühl von Raum zu Raum gehetzt zu werden. Am Ende findet man sich erschöpft, aber unzufrieden vor dem Gebäude wieder. Man weiß, dass es sehr viel zu sehen gab, aber außer der Überfülle an Details ist wenig in Erinnerung geblieben. Und selbst wenn diese akustische Skulptur mehrmals betreten wird – das Gefühl bleibt bestehen. Klar, Stück für Stück offenbaren sich Details, Elemente, die einen denken lassen „Da ist er wieder!“. Am meisten sticht dabei der Track „Kitty Cat“ heraus, was vor allem am Gesang liegt, der per se eine gewisse Struktur mitbringt. Hier zeigt sich, dass eine dosierte Mischung des Konventionellen mit dem Experimentellen zu einem guten Resultat führen kann. Unbedingt erwähnenswert: Der Gesang im Track kommt von Soundtüftler Amon Tobin selbst, der so lange an seiner eigenen Stimme gefrickelt hat, bis sie so verführerisch weiblich klingt.

Weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen, statt der überfordernden Menge an akustischen Elementen wäre eine Konzentration auf weniger Sounds besser gewesen. Vielleicht hätte Amon Tobin seine definitiv interessanten Experimente auch einfach auf mehr Tracks verteilen müssen. Denn dann hätte man die unbestreitbare Kreativität Amon Tobins durchaus genießen und schätzen können. Schade!

Preview:

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Tracklist

  1. Journeyman
  2. Piece of Paper
  3. Goto 10
  4. Surge
  5. Lost & Found
  6. Wooden Toy
  7. Mass & Spring
  8. Calculate
  9. Kitty Cat
  10. Bedtime Stories
  11. Night Swim
  12. Dropped from the Sky

(Ninja Tune /Rough Trade)