Anfangs war es nur eine kleine Gruppe von etwa 50 Demonstranten, die etwas verschüchtert am südlichen Rand des Tiergartens vor der Spanischen Botschaft stand. Die Teilnehmer wollten ihre Solidarität für die Tausenden Protestierenden auszudrücken, die in Spanien derzeit die Plätze der größeren und kleineren Städte füllen. Doch schnell kamen immer mehr Menschen hinzu, bis schließlich etwa 200 Demonstranten in einem großen Kreis auf der Straße vor der Spanischen Botschaft saßen. Viele hatten Plakate mitgebracht, dominant war das Motto „Democracia Real Ya!“ – „Wahre Demokratie Jetzt!“ – und das Hashtag „#spanishrevolution“, mit dem sich die Demonstranten inner- und außerhalb Spaniens online verbinden.
Es war eine ungewöhnliche Demonstration – friedlich, in guter Stimmung und vollkommen frei von Parteisymbolen; es gab keine Rednerliste und keine Lautsprecher. Stattdessen diskutierte man im Plenum, jeder Teilnehmer konnte sich melden, fast zwei Stunden lang wurde so an diesem Donnerstagnachmittag gesprochen. Dabei dominierten viele praktische Fragen – denn die Inhalte sind eigentlich klar.
Einerseits geht es um Unterstützung für die Massenproteste in Spanien. Dort wird die herrschende Politik kritisiert: Das Wahlgesetz, das zu sehr auf ein Zweiparteiensystem hinauslaufe und andere Meinungen nicht ausreichend berücksichtige; die Politiker, die zu oft korrupt seien. „Ich will eine echte Demokratie in Spanien. Wir brauchen ein neues Wahlgesetz und offene Listen“, sagt Pablo, ein 25-jähriger Geschichtsstudent. Damit soll die Herrschaft der beiden großen Parteien, des Partido Popular und der Sozialisten, gebrochen werden. Die Wirtschaftssituation bildet den anderen Schwerpunkt der Proteste. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds bei etwa 40 Prozent, eine Besserung ist nicht in Sicht. Ein zündendes Ereignis für die Proteste bedurfte es indes nicht. „Wie haben es einfach satt, es reicht“, meint Leyte. Die 28-Jährige studiert seit Oktober in Berlin, kommt eigentlich aus der nordspanischen Region Navarra. „Wirtschaftlich ist die Lage schlecht, es gibt keine Jobs, keine Arbeit. Das Maß ist einfach voll.“
Die zwei Kritikpunkte sind eng verzahnt: „Beide politischen Parteien haben uns in diesen katastrophalen Abgrund geführt“, erklärt Sonia, die auf der Versammlung spontan beschlossen hat, in einer Arbeitsgruppe für Medienkontakte mitzuarbeiten. „Schau dir mal an, wie viele Spanier hier in Berlin sind – die sind auch deshalb hier, weil sie in Spanien keinen Job finden. Viele sind erst in den letzten Monaten gekommen.“
Von den Berlinern verlangen die Demonstranten Unterstützung. Leyte meint: „Wir wollen, dass die Deutschen wissen, was hier eigentlich passiert, zumal die Wirtschaftskrise eh eine Sache ist, die immer mehr Länder betrifft.“ Pablo, der Geschichtsstudent, stimmt zu: „Unsere Probleme von heute könnten die Probleme der Berliner von morgen sein.“ Auf Unverständnis stießen bei den Demonstranten auch die Äußerungen Angela Merkels, die bei einer CDU-Veranstaltung im Sauerland kritisiert hatte, dass die Menschen in Südeuropa früher in Rente gehen würden als in Nordeuropa. Nach Medienberichten sagte sie außerdem: „Wie können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.“ „Ich will hier auch meinen Ärger über Frau Merkel ausdrücken“, sagt Pedro, der seit eineinhalb Jahren in Berlin lebt und eigentlich aus Granada kommt. „Ihre Aussagen sind rassistische Vorurteile. Es ist ein Mythos, dass wir nur Siesta und Fiesta machen. Wir arbeiten sehr wohl, und trotzdem ist die Rente unserer Eltern nun in Gefahr.“ Eine Orientierung an den alten Nationalstaaten lehnt er ohnehin ab. „Wir sind nicht mehr ein Land, wir sind Europa.“
Die nächste große Demonstration im Zuge der „Spanischen Revolution“ findet am kommenden Samstag (21. Mai) um 17 Uhr vor dem Brandenburger Tor statt.