Arnaud Rebotini – Someone Gave Me Religion

Am Anfang war das Wort, sagt die Bibel. Und so weiter. Dann formen sich Sätze und schon nimmt die Geschichte ihren Lauf. Am Anfang ist die Einleitung, sagt die Dramaturgie. Auf diese folgt, wenn alles gut läuft, der Hauptteil, und am Ende kommt der Schluss. Das gilt für Texte und auch für Musik. Bei gelungenen Alben geben so der erste und der letzte Track dem Gesamtwerk einen Rahmen. Das Intro muss hierbei nicht ausführlich sein, vielleicht ist es nicht einmal zwei Minuten lang. Möglicherweise erklingt auch mehr Geräusch als Musik, denn im Grunde wird dem Hörer hier bloß die Bühne beschrieben, auf der sich die Protagonisten, die folgenden Tracks, austoben. Am Ende haben sie sich dann mitunter so sehr in Rage gespielt, dass sie gar nicht mehr aufhören können.

Mit „Someone Gave Me Religion“ erscheint am 20. Mai das zweite Soloalbum des Franzosen Arnaud Rebotini, Freunden elektronischer Tanzmusik bereits bekannt als ein Teil von Blackstrobe. Schon nach den ersten Tönen dürfte klar sein, dass sich die im Titel erwähnte Religion um Analogsynthesizer dreht. Der Vocoder spricht das Gebet und Sequencer reden in Zungen. Doch bevor es soweit ist, kommt es im ersten Track gewissermaßen zu popkultureller Blasphemie: Zwar ist „The First Thirteen Minutes Of Love“ wie viele andere Intros vor allem darauf bedacht, Atmosphäre zu schaffen, und wie oft üblich gibt es auch hier keine Beats oder perkussive Elemente. Der Titel lässt jedoch bereits erahnen, dass sich die Liebe zu den Klängen hier über mehr als dreizehn Minuten erstreckt. Das ist eine gewagte Länge für eine Einleitung. Am Anfang war der Analogsynthesizer. Das ist eindeutig Schöpfungsgeschichte – Urknall geht anders.

Man mag zunächst überrascht und ungläubig sein, doch trotz seiner Überlänge wirkt der Einstieg in das Album nicht langweilig. Harmonien und Arpeggios kommen und gehen, und wenn dann in den ersten Sekunden des nachfolgenden Tracks „Another Time, Another Place“ der Vocoder einsetzt, ist man überzeugt, dass Musik genau so klingen muss. Es ist völlig egal, dass Arnaud Rebotini das Disco-Rad nicht neu erfindet, denn das macht er ganz hervorragend. Vielleicht sind das die Folgen einer dreizehnminütigen Gehirnwäsche – na und? Und wenn der Franzose mit dem pornösen Schnauzbart und der Pomade im Haar dann im kratzig-knarzigen dritten Stück erzählt „I’ll be your personal dictator“, denkt man nur, gerne doch! Erst recht, wenn man das Video dazu sieht.

„Someone Gave Me Religion“ steckt voller sozusagen typisch französischer Cheesiness, auch dann, wenn Elemente aus Techno („All You Need Is Techno“), Acid House („Who’s Gonna Play This Old Machine?“) oder Indie Dance à la Boys Noize („Extreme Conditions Demand Extreme Responses“) aufgegriffen werden. Der Kitsch ist hier aber wohldosiert und meistert die Gratwanderung zwischen Ironie und künstlerischem Ernst. Wenn die Computerstimme weise spricht „All You Need Is Techno“, dann lacht man kurz, denkt vielleicht einen Moment kopfschüttelnd an „Das Boot“ von U96, dreht dann aber voller Zustimmung lauter. Musik im Retrogewand ist schon lange nichts neues mehr, doch bei Rebotini geht das Konzept besser auf als bei manch einem Künstler zuvor. Außerdem beweist er, dass auch in Zeiten der MP3 das Format Album noch lange nicht tot ist. Mehr noch als das: Er hat ein gleichermaßen abwechslungsreiches wie homogenes Album veröffentlicht, wie es bei solch tanzflächenorientierter elektronischer Musik nicht sehr häufig vorkommt. Und Gott sah, dass es gut war.

Preview:

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Tracklist:

  1. The First Thirteen Minutes Of Love
  2. Another Time, Another Place
  3. Personal Dictator
  4. Another Dictator
  5. Echoes
  6. All You Need Is Techno
  7. Who’s Gonna Play This Old Machine?
  8. Extreme Conditions Demand Extreme Responses
  9. The Choir Of The Dead Lovers

(Blackstrobe Records)