„What is that message / ringing in my ears?“, wird sich so mancher gefragt haben, als im Sommer letzten Jahres im Line-Up einiger europäischer Festivals der Name Lamb erschien – eines britischen Duos, das sich sechs Jahre zuvor privat und beruflich getrennt hatte. Und für deren Rückkehr an die Spitze des Trip-Hop aufgrund der zusätzlichen Dramatik einer beendeten Liebesbeziehung eigentlich noch weniger Hoffnung bestand als bei anderen Bandauflösungen. Dennoch: 2010 standen Lou Rhodes und Andy Barlow plötzlich wieder gemeinsam auf der Bühne und wurden nicht müde, ihre eigene Begeisterung über diesen Umstand mitzuteilen.
Nicht nur in Bezug auf das Überraschungsmoment, auch inhaltlich ähnelte diese Wiedervereinigung der Auferstehung von Portishead im Jahr zuvor. Beide Bands brachten Ende der 90er-Jahre sowohl dem elektronischen als auch dem akustischen Indie zahlreiche neue Impulse durch ihre organische Verquickung von gebrochenen Beats (schnellen wie langsamen), live gespielten und elektronisch bearbeiteten Instrumenten sowie hochsensiblem, poetischem Songwriting. Lamb spannten hierbei auf ihren vier Alben den Bogen von komplexen Rhythmen und treibenden Bässen zu zuckersüßen Streichern und irisierenden Vocals.
Ein neues, fünftes Album wurde dann, nach der euphorischen Festivaltour des letzten Sommers, tatsächlich angekündigt: „5“ sollte es heißen und am 5.5. diesen Jahres erscheinen, im Selbstverlag, finanziert durch Vorauszahlungen der immer noch zahlreichen Fans (ein Modell, das zuletzt bei Patrick Wolf ganz gut funktioniert hat). Mit der Vorfreude wuchsen naturgemäß auch die Erwartungen: Könnte es wieder so sein wie früher? Würden sie dort ansetzen, wo sie aufgehört hatten? Sind Lamb immer noch das, was sie mal waren?
Natürlich konnten die Jahre der Trennung und der individuellen Weiterentwicklung nicht spurlos an Lou und Andy vorübergehen. An Stelle der emotionalen Symbiose von einst ist auf dem neuen Album eine freundschaftliche Opposition getreten, ein Machtspielchen zweier Individuen, deren Selbstbewusstsein in ihrer jeweiligen Solistenzeit erstarkt ist. Während Andy in diesen Jahren jedoch viele Projekte begonnen, die meisten aber nie fertig gestellt hat (wie das jahrelang angekündigte Debütalbum seiner Band „Hoof“), hat Lou erfolgreich Tourneen und Festivals mit drei klassischen Singer-/Songwriter-Alben gespielt – dementsprechend ist eindeutig sie es, die auf „5“ dominiert.
Wer Lou Rhodes solo gesehen hat, kann erahnen, in welche Richtung das Songwriting der neuen Stücke geht: unprätentiöse, aber oft die Grenze der Monotonie berührende Melodien, bedeutungsschwangere Texte, Introspektion als zentrales Thema. In zu vielen Stücken des ohnehin kurzen neuen Lamb-Albums wirken Andys Beats und Arrangements allerdings wie bloße Dekoration und Staffage ihrer Aussagen, gelegentlich tritt sein hörbarer Einfluss sogar ganz in den Hintergrund. Bei „Rounds“ beispielsweise (Track 7) hat man das Gefühl, dass Andy Lou einen Gefallen tun wollte und eine ihrer schwächeren Kompositionen aufpoliert hat – wobei eine erschreckend nichtssagende Ballade entstanden ist, die das Gesamtwerk von Lamb leider nicht bereichert. Für Stirnrunzeln sorgt auch „Build A Fire“ (Track 3), das mit einer Studioband als Indie-Rock-Pop-Song (anders kann man das nicht nennen) eingespielt wurde, wie sich im Promo-Video-Feature zu „5“ beobachten lässt.
Positiv hervorstechend sind auf der anderen Seite diejenigen Tracks, in denen Andy das musikalische Gebäude errichtet hat und Lous Stimme es zum Schwingen bringt – doch das sind nur zwei der zehn Stücke auf „5“. Tatsächlich ist er schon in den ersten Takten von „Strong The Root” (Track 6) wieder da, der Funke der Genialität, der in den vier Alben der „alten Lamb“ stets geglimmt hatte. Hier stimmt das Zusammenspiel, hier ergänzen sich die Stärken des Duos wieder zu einem organischen Ganzen, ohne um die Vorherrschaft rangeln zu müssen. Ihr somnambuler Gesang wäre nichts ohne seinen komplexen Beat und seinen kraftvollen, spannungsgeladenen Basslauf – und umgekehrt, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man sich die Instrumentalversion auf der Bonusdisc anhört. Das Gleiche gilt für „She Walks“ (Track 8), auch hier laufen Lamb wieder zu zeitloser Größe auf. Interessanterweise sind genau dies die beiden Tracks, die bereits Ende 2010 als Appetithappen im Internet veröffentlicht wurden – somit vermutlich diejenigen, die als Erste fertig gestellt waren.
Auch der bereits im letzten Jahr von Andy Barlow online veröffentlichte Track „Back To Beginning“ mit Gastsänger Damien Rice ist in einer neuen Version mit dabei, in der Rice nunmehr im Duett mit Lou Rhodes singt. Äußerst seltsam mutet das an, mit 3/4-Takt, kitschigem Pizzicato-Sample und einem ungewohnten Wechselspiel der Stimmen, das stellenweise (wohl durchaus erwünscht) an die Zusammenarbeit von Nick Cave und Kylie Minogue erinnert. Von den zahlreichen Stellen auf „5“, an denen das musikalische Spektrum von Lamb erstaunlich erweitert wird, ist „Back To Beginning“ trotzdem die gelungenste.
Wer also auf eine Wiederaufnahme des Lamb-Sounds von vor zehn Jahren gewartet hat, wird sich statt dessen mit der Anforderung konfrontiert sehen, viel Neues, einiges Unerwartetes und vielleicht sogar manch Unerwünschtes in sein Bild von einer Band zu integrieren, die sich zu ihren Anfangszeiten mit stilprägenden Kompositionen eine eigene Nische geschaffen hat. So kann man es durchaus programmatisch finden, dass der Track, der am deutlichsten in Verbindung zur glanzvollen Vergangenheit steht, ausgerechnet „Strong The Root“ heißt: Auf „5“ sind Lamb in jenen (wenigen) Momenten am besten, in denen sie sich der Stärke ihrer Wurzeln besinnen. Zu hoffen bleibt, dass aus ebenjenem Wurzelwerk mehr Organisches wächst als in den neuen Tracks zu entdecken ist. Vielleicht geschieht dies ja auf der anstehenden Festivaltour. Oder beim nächsten Album. Dass ein solches jetzt überhaupt wieder möglich ist, dass Lamb sich wieder gemeinsam weiterentwickeln wollen, das ist und bleibt für viele die Musiknachricht des Jahres.
Preview:
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Tracklist:
CD 1
- Another Language
- Butterfly Effect
- Build A Fire
- Wise Enough
- Existential Itch
- Strong The Root
- Rounds
- She Walks
- Last Night In The Sky
- The Spectacle
CD 2
- Dischord
- Back To Beginning (feat. Damien Rice)
- Strong The Root (Instrumental)
- Last Night The Sky (Instrumental)
- Rounds (Demo)
- Butterfly Effect (Instrumental)
- Strong The Root (Acapella)
- Wise Enough (Instrumental)
- The Spectacle (Reprise)