Julie Marghilano – Wer war nochmal Vanessa-Mae?

Julie Marghilano

Das erste Treffen mit Julie Marghilano ist ein sehr zufälliges: wir sitzen im Flugzeug nebeneinander und kommen ins Gespräch. Ohne zu wissen, was mich erwartet, besuche ich sie am selben Abend bei ihrem Club-Gig – und bin ziemlich überrascht, als sie plötzlich anfängt, mit einer elektrischen Violine über ihr minmales Tech-House-Set zu spielen. Einige der Clubgäste bleiben gar mit offenem Mund vor dem DJ-Pult stehen und machen Fotos von Julie, der italienisch-amerikanischen DJane und Produzentin mit klassischer Musikausbildung.

Das zweite Treffen ist ganz geplant und findet im (ziemlich lauten) St. Oberholz statt, weil man sich dort eben so trifft, um Interviews zu führen. Wir sprechen über ihre Kindheit, über ihr Instrument, über Berlin… und darüber, warum Julie nicht Vanessa-Mae ist.

Julie Marghilano im Interview
(englisch, inkl. Ausschnitt aus ihrem Track „One Night Drama“):

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Julie, wie würdest du deinen Musikstil beschreiben?

Das kommt ganz auf die Situation an, in der ich auflege. In einem kleinen Club sind meine Sets zum Beispiel eher deep. Es hängt aber auch von meiner Stimmung ab. Im Prinzip variiere ich zwischen Deep House und Techno.

Du bist aber nicht nur DJane und Produzentin, sondern auch ausgebildete Musikerin. Deine Sets haben nämlich ein besonderes Gimmick: du spielst live auf einer Violine zu den Tracks.

Ich spiele schon Violine, seit ich klein bin, so etwa mit 13 habe ich angefangen. Ich bin zwar ausgebildete Musikerin, aber das wollte ich nie beruflich machen. Ich komme aus einer Musikerfamilie, ich weiß, was es bedeutet, das zu seinem Beruf zu machen. Elektronische Musik fand ich immer schon gut, und als ich etwa 15 war, hörte ich zum ersten Mal eine elektronische Violine bei Jean-Luc Ponty und seinem Mahavishnu Orchestra. Das war eigentlich auch das erste Mal, dass ich ein Wah-Wah auf einer Violine hörte. Da war ich wie vom Donner gerührt und habe mich gefragt: was ist das denn? Ich habe mich wirklich in die Idee verliebt, den Klang der Violine zu anderen Sounds zu verarbeiten und damit zu improvisieren.

Eines Tages, als ich schon in Italien lebte, hat mich dann ein Freund gefragt, ob ich live Violine spielen möchte bei einem seiner Gigs. Seine Band hat so eine Art Live-Dance-Music gemacht. Von da an hab ich mich immer mehr an diese Art des Spiels gewöhnt. Und daran, quasi die andere Hälfte des Hirns beim Spielen zu nutzen. Ab da hat dann eins zum anderen geführt. Ich hab einfach Musik gemacht – und voilá, so kam das dann alles.

Deine Violine ist etwas besonderes, schon alleine, weil sie nicht aus Holz ist, sondern aus…

… Plexiglas, ja. Sie wurde von einem sehr coolen Geigenbauer namens Ted Brewer angefertigt. Er ist ziemlich bekannt für elektronische Violinen. Ich hatte vorher einige andere Hersteller ausprobiert auf der Suche nach dem richtigen Sound… denn wenn man Violinenklänge digitalisiert, klingen sie oft wie… wie eine Katze. (lacht)

Wieso das?

Das Problem sind die Höhen, die können ganz schrecklich klingen. Dieser Geigenbauer hat sich ein elektrisches System ausgedacht, mit dem du das eindämmen kannst. Der Klang wird schon in der Geige gepegelt, bevor er überhaupt in den Rechner oder die Anlage geht. Außerdem benutze ich eine Violine, die ein bisschen speziell ist, weil sie fünf Saiten hat. Ich habe da das tiefe C und kann sozusagen Bässe spielen. Die Leute können sich das alles meistens erst vorstellen, wenn sie es sehen. Aber ich bin zufrieden mit der Anfertigung. Er hat zum Beispiel auch Instrumente für Vanessa-Mae gebaut, eine andere berühmte Violinistin, deswegen habe ich ihn ausgesucht und bin bisher sehr zufrieden.

Auf Vanessa-Mae wollte ich dich sowieso noch ansprechen, aber ich hatte ein wenig Angst, dass du mir dann den Kopf abreißt… wenn ich Leuten von dir erzählt habe, die dich noch nicht kannten, kam manchmal die Rückfrage, ob du nicht so etwas Ähnliches machst wie Vanessa-Mae. Was hältst du von ihr?

Naja, ich denke, ich mache schon etwas ganz anderes als Vanessa-Mae. Sie macht ja so eine Art „klassische Musik im neuen Gewand“ und ich spiele ja überhaupt keine Klassik. Das könnte ich zwar, aber ich mach’s eben nicht. Ich improvisiere über meine eigenen Tracks, und sie macht halt ihr Ding. Das ist wirklich nicht vergleichbar.

Eben, schon alleine, weil du deine eigenen Tracks als Grundlage für dein Spiel nimmst.

Genau, ich baue auf meinen eigenen Tracks auf, die ich schon produziert habe und dann live spiele – oder aber auf Tracks von anderen, die ich dann eben auflege. Wenn mich etwas inspiriert, gebe ich dem einfach nach.

Und das sieht ganz cool aus: Deine Geige ist sowieso sehr spacig, aber zusätzlich ist sie noch von innen beleuchtet. Machst du das eigentlich nur für die Show oder brauchst du das Licht wirklich zum Spielen?

Wenn man die Geige einschaltet, geht auch das Licht an. Aber es gibt auch einen Knopf, mit dem man bei jeder Note das Licht aufblitzen lassen kann. Insofern kommt es immer drauf an… aber ich liebe meine Disco Lights!

Julie Marghilano

Du benutzt relativ viel Hardware für deine Sets, denn du musst die Sounds ja auch direkt weiterverarbeiten. Kümmerst du dich alleine darum?

Ja, klar.

Macht dir das Spaß, Kabel verbinden und Filter ausprobieren?

Überhaupt nicht. Was ich am meisten hasse, sind Flugzeuge mit unmöglichen Abflugzeiten und Soundchecks. Aber das muss ja gemacht werden. Deswegen bin ich dann eben immer als erste im Club, stecke irgendwelche Kabel zusammen und schaue, dass alles funktioniert. Das macht echt keinen Spaß, aber es gehört eben zu meinem Job. Immer noch besser als ein Tag im Büro. (lacht)

Bei dir hat also alles mit einer klassischen Musikausbildung angefangen. Wie war das in deiner Kindheit, wo kommst du her und wie verlief der erste Kontakt mit deinem Instrument?

Ich bin in einer großen, musikalischen Familie aufgewachsen. Mein Vater ist Joe Lano – wenn du dich mit Jazz oder Bebop auskennst, kennst du ihn vielleicht, er ist ein sehr bekannter Jazz-Gitarrist. Insofern wurde ich quasi inmitten von Jazz aufgezogen. Bei uns gingen die Musiker ein und aus, mein Vater hat mit Frank Sinatra, Sammy Davis, jr. oder Lena Horne gearbeitet. Wir waren auf Tour mit Lena Horne, als ich ungefähr sechs war, dabei sind wir ziemlich herumgekommen. Deswegen war das alles ganz natürlich für mich. Zuerst wollte ich zwar Schlagzeug lernen (lacht), aber dann kam meine Schullehrerin auf mich zu. Sie kannte natürlich meinen Vater und sagte zu mir: Julie, wenn du irgendwas vom Talent deines Vaters geerbt hast, dann versuche doch bitte, Violine zu spielen, denn das ist ein Instrument, das schwierig zu meistern ist. Also habe ich die Geige in die Hand genommen – und es hat sich ganz natürlich angefühlt. Meine Mutter war außerdem Sängerin, deswegen war es wirklich nahe liegend, dass ich ein Instrument spiele.

Du hast es also im Blut.

Ja, absolut. (lacht)

A propos Blut: dein Nachname ist italienisch, aber ich weiß, dass du in Las Vegas geboren ist. Wie kam das?

Tja, wie kam das? Also, mein Vater war Jazzmusiker und meine Mutter war Showgirl und Sängerin. Und voilá, ich wurde in Las Vegas geboren! (lacht) Das ist irgendwie so von selbst passiert. Ich wurde also geboren und bin aufgewachsen in Las Vegas, was ein ziemlich seltsamer Geburtsort ist… außer eben, wenn dein Vater Musiker und deine Mutter Tänzerin ist. (lacht) Und ja, ich habe italienisches Blut und bin dann irgendwann nach Italien gezogen. Irgendwie hat mich Europa schon immer angezogen.

Und jetzt lebst du in Berlin.

Ja, jetzt lebe ich in Berlin, und ich liebe es! Ich liebe diese Stadt, sie hat so viel zu bieten und ist vermutlich einer der letzten wirklich freien Orte auf der Welt… leider. Es ist wirklich ein besonderer Ort. Außerdem ist es eine wahre Demokratie, denn die Leute können hier tun und lassen, was sie wollen und wann sie es wollen. Das ist fantastisch. Das allein schon gibt Künstlern den Raum, sich frei zu fühlen und das zu tun, wonach sie sich fühlen, was sie tun müssen. Das erzeugt auch eine Menge Kreativität – auf jedem Sektor, von Galerien und Clubs zur Jazz-Szene und zur elektronischen Musik. So gesehen gibt es wirklich kaum Orte, die mit Berlin vergleichbar wären. Vielleicht noch London. Aber dort bekommt man nach zwei Uhr nachts nichts mehr zu trinken, das ist echt lächerlich. Also, Berlin liegt mir wirklich am Herzen.

Wo bist du sonst noch unterwegs, wo hast du eine Basis? Du spielst viel in Europa und Nordamerika, oder?

Im Moment hauptsächlich in Europa. Ich spiele viel in Italien, natürlich, aber auch in London oder auf Ibiza. Aber ich war schon überall, ob jetzt Portugal, Hong Kong oder Las Vegas… (lacht)

Also zieht es dich an besondere Orte? Las Vegas ist ja auch speziell.

Ja, ziemlich speziell.

Wie steht es um deine Veröffentlichung? Kommt von dir etwas raus in nächster Zeit oder ist gerade etwas erschienen? Und wo bekommen wir das?

Jetzt gerade ist ein Track von mir auf der neuen Highgrade-Compilation „Group of Connected Heads 2“ erschienen, die kam Anfang April raus. Der Track heißt „One Night Drama (Dub)“. Im Moment habe ich noch einige andere Projekte am Start, über die ich aber nichts erzählen kann… denn die sind noch geheim.

Was sind sonst deine Pläne? Eine neue Violine, ein neuer Soundeffekt, eine weitere Überraschung?

Ich bin ständig auf der Suche… und im Moment suche ich nach einer besseren MIDI-Violine. Das wäre wirklich super, besonders für’s Produzieren. Ein Freund von mir aus Las Vegas hat eine MIDI-Harfe, die ist großartig. Aber MIDI-Geigen sind im Moment noch sehr teuer und nicht besonders gut. Deswegen warte ich da noch auf eine ordentliche Neuentwicklung. Das ist wohl der nächste Schritt. Etwas, das Audio und MIDI gleichzeitig beherrscht, das könnte ziemlich cool sein. (lacht)

Nochmal zurück zu Berlin: Wo und wann können wir dich live sehen?

Mal sehen… am 6. Mai spiele ich im Asphalt, und dann vermutlich im Juni noch mal woanders.

Wie ist das Publikum in Berlin? Bemerkst du irgendwelche Unterschiede? Also – zu Ibiza wird es wohl auf jeden Fall Unterschiede geben…

Oh ja. Hier in Berlin gibt es viele Clubs, in denen du mehr Freiheit hast, dich auszuprobieren. Dort fühlst du dich dann auch wohler, ein breiteres Spektrum zu spielen als beispielsweise auf Ibiza oder so, wo du quasi verpflichtet bist, die Leute zum Tanzen zu bringen. Ich glaube, die Leute hier sind musikalisch gebildeter, weil sie so viele Künstler sehen und hören können. Das ist wirklich toll hier in Berlin.

Allerdings gibt es auch in London viele gute Orte zum Spielen. Und es gehen ziemlich viele Warehouse Parties, da passiert so einiges im Moment. Eigentlich geht es London auch ganz gut, musikalisch gesehen. Die hatten dort einen kleinen Durchhänger, aber jetzt blüht es wieder auf. Da gibt es viele gute Künstler, die cooles Zeug machen. (überlegt) Okay, ich bin nicht neutral, weil ich hier wohne, aber trotzdem fühle ich mich schon wohler in Berlin. Die Parties gehen länger, dadurch haben die DJs einfach mehr Zeit, sich zu entfalten. Es macht schon einen Unterschied, ob du vier, fünf, sechs Stunden spielst oder nur zwei. Ich finde, es ist schon besser, wenn man an einem Ort wie der Panorama Bar spielen kann. Dort können sich Künstler einfach besser ausdrücken.

Liege ich richtig damit, dass du dann auch das breite Spektrum elektronischer Musik gut findest, das wir bei BLN.FM spielen?

Ja, auf jeden Fall. Ich hab mich mit euch beschäftigt und finde wirklich gut, wie breitbandig ihr diesen Musikzweig betrachtet, dass bei euch so viele Genres vorkommen. Das ist schon sehr cool.