Immer noch besser als Zuhause

Toni&Kruemel_01

Vor weißem Studiohintergrund erzählen sieben junge Menschen der Kamera von ihrem Leben. Nüchtern betrachtet sei es ein sinnloses Dasein, sagt eine von ihnen. Das Beschaffen von Geld und Drogen im ewigen Wechsel. Doch erst wenn man irgendwann wieder clean ist, kann einem die Sinnlosigkeit überhaupt bewusst werden – dann fängt man wieder bei null an und muss alles noch einmal lernen.

Wer auf der Straße lebt, ist draußen. Das Misstrauen der Jugendlichen gegenüber der normalen Gesellschaft, das oft auf extremen Vertrauensbruch oder -missbrauch in der eigenen Familie zurückgeht, wird durch die Ersatzfamilie am Alexander- oder Breitscheidplatz kompensiert. In ihrem Dokumentarfilm gibt Maria Speth den Jugendlichen viel Raum und hört ihnen geduldig zu. Die Kamera verweilt dann oft noch auf den in sich gekehrten Gesichtern, während die Stimme an anderer Stelle bereits weitererzählt, und verleiht so dem zuvor Gesagten noch mehr Bedeutung und Gewicht. Der Blick verweist auf die Gedanken, in denen die Vergangenheit nachhallt, während die Sprache schon ihr Ende gefunden hat. Auf diese Art sprechen die Augen dann aus, für was es keine Worte mehr gibt.

In schwarz-weißen Bildern porträtiert „9 Leben“ sieben sogenannte Straßenkinder und erkundet die Grauzone zwischen ihren Ängsten und Hoffnungen, zwischen Freiheit und Abhängigkeit, Anklage und Eingeständnis, Liebe und Hass. Die Flucht nach Berlin ist in den meisten Fällen die Folge absoluter Ausweglosigkeit und hat wenig zu tun mit bloßer Ausreißerromantik. Auch das Klischee des dreckigen, gleichgültigen Punks wird den Protagonisten des Films nicht gerecht. Wie viel Sinn macht auch ein „No Future‟ als Lebensmotto, wenn man schon seiner Kindheit beraubt wurde? Die heimatlosen Mädchen und Jungs in Maria Speths Dokumentarfilm haben bereits einiges durchgemacht und sind wie die sprichwörtliche Katze doch immer wieder halbwegs auf den Füßen gelandet. Es bleibt zu hoffen, dass sie das erste ihrer neun Leben eines Tages ganz hinter sich lassen können.

(Regie: Maria Speth, D 2010, Dokumentarfilm, 105 Minuten)

Aufführung im Rahmen des „achtung berlin“-Festivals:

  • 20.04., 19.45 Uhr: Passage Kino, Karl-Marx-Straße 131-133, Berlin-Neukölln, U-Bhf Karl-Marx-Straße