Wagon Christ – Toomorrow

Wagon Christ - ToomorrowLuke Vibert ist zu beneiden. Seit bald 20 Jahren macht der beinahe 40jährige Londoner Musik die ihm gefällt, steht dabei selten im anstrengenden Rampenlicht und konnte so ganz in Ruhe zu einem Meister seines Fachs reifen. Im Windschatten von Aphex Twin hat Vibert zahlreiche hervorragende Platten vorgelegt – und genau wie sein Freund und Mentor tritt auch er unter wechselnden Pseudonymen auf. Herausragend war beispielsweise sein brillanter Remix für „The Perfect Drug“ von Nine Inch Nails (1997, als Plug), der ihm gleich einen Vertrag bei Trent Reznor einbrachte und ihn unter anderem für Warp und Ninja Tune empfahl. Bei letzterem veröffentlicht er nun als Wagon Christ sein neues Album „Toomorrow„.

Das bietet, wie zu erwarten war, eine gute Stunde urbaner akustischer Unterhaltung: ebenso elegante wie abseitige Samples mit hörbaren Wurzeln in der früheren Hip-Hop-Avantgarde, hübsch funkige Soundarrangements, originelle Ideen – insgesamt ein smartes, rundes Album. Und wieder ist Herr Vibert zu beneiden, denn sein Werk wirkt wie eine (durchaus gekonnte) Fingerübung, so, als hätte er „Toomorrow“ völlig mühelos und ganz entspannt zusammengebaut. Das kann man nun langweilig finden, weil Vibert als ausgewiesener Klangtüftler damit eindeutig hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt. Andererseits kann man sich auch daran erfreuen, dass er nicht ganz so verbissen verquer ist wie Richard D. James und seinen Spaß an leicht zugänglichen und dennoch komplex arrangierten Sounds gerne auslebt.

In der Tat klingt „Toomorrow“ wie instrumentale Begleitmusik zu einer nachmittäglichen Zugfahrt durch die Vororte der großen Stadt – oder wie der Soundtrack zu einem bunten Videospiel, einer harmlosen Version von GTA vielleicht, in der man Skateboard fahren und Burger essen gehen muss. Sehr schön sind zum Beispiel die beiden benachbarten Tracks „Sentimental Hardcore“ und „Chunkothy“: ersterer klingt mit seinen cartoon-ähnlichen Trompetensounds und den rührenden Kleinkind-Samples wie eine angenehme, durch den Konsum weicher Drogen leicht verzerrte Kindheitserinnerung, während im anderen immer mal wieder eine Hawaii-Gitarre durchschimmert und an einen (ebenfalls nicht mehr ganz nüchternen) Comicschwamm erinnert.

Gut, das klingt alles recht belanglos, und dieser Einwand lässt sich auch nicht so recht entkräften. Aber das macht ja nichts: Vibert muss niemandem etwas beweisen und hat einfach ein sehr hübsches Album vorgelegt, das positiv zum Tagesgeschäft beitragen und den ein oder anderen urbanen Frühlingstag versüßen kann. Denn ab und zu möchte man sich auch als kritischer Hörer einfach nur auf eine Albumlänge ins Gras legen und musikalischen Retro-Science-Fiction-Fantasien nachgehen.

Preview:

[podcast]http://media.bln.fm/media/audio/previews/wagon_christ_toomorrow_preview.mp3[/podcast]

Tracklist:

  1. Introfunktion
  2. Toomorrow
  3. Manalyze This!
  4. Ain’t He Heavy, He’s My Brother
  5. Accordian McShane
  6. My Lonely Scene
  7. Respectrum
  8. Rennie Codgers
  9. Oh, I’m Tired
  10. Wake Up
  11. Lazer Dick
  12. Sentimental Hardcore
  13. Chunkothy
  14. Harmoney
  15. Mr. Mukatsuku

(Ninja Tune)