Die Bretter, die die Welt bedeuten, werden gegen Asphalt eingetauscht – und der stinkt, riecht nach verbranntem Gummi und Abgasen. Weit und breit kein wohliger Sessel, um sich das Schauspiel auf der Bühne anzuschauen. Das wäre sowieso viel zu weit weg und eine Bühne im eigentlichen Sinn gibt es nicht.
Die Schaubühne wagt mit der Inszenierung des Autorenprojekts „Confessions“ ein Experiment, welches das Theater von den eingefahrenen Gleisen reißt und auf die Straße bringt, harte Landung mit Unfällen, Verletzten und Toten vorprogrammiert. Das Konzept des Projekts, bei dem Jan-Chrisoph Gockel Regie geführt hat, lässt sich folgendermaßen beschreiben: Sieben Autos, sieben kleine Geschichten und der Zuschauer als Mitfahrer, ganz nah dran und nicht irgendwo im mittleren Rang ganz außen. Davon lebt diese Inszenierung, die auch gar nicht anders funktionieren würde. Man braucht die Nähe, die gespürte Intimität, die gefühlte Intensität, wenn sich Timon und Lukas in einem Ford Cougar gegenseitig anschreien. Das kann ja kein Happy-End haben. Der Zuschauer sitzt auf der Rückbank und wird zum ohnmächtigen Hinschauen verdammt. Nachdem Lukas tot in den Kofferraum geladen worden ist, holt Timon dessen Tochter nach dem Ende des Stückes von der Schule ab, pädophile Untertöne inklusive.
Noch bequemer hat es der Zuschauer im Cadillac. Rotes Leder, riesiger Innenraum und zwei namenlose Menschen, die zwar miteinander reden, sich aber gegenseitig nicht verstehen. Die Situation eskaliert und einer der beiden zieht ein Messer aus dem Handschuhfach. Hier offenbart sich auch die einzige konzeptionelle Schwachstelle im gesamten Stück. Die Kurzgeschichten wirken etwas zu konstruiert, etwas zu extrem, etwas zu sehr wie herkömmliches Theater. Aber der Zuschauer hat eigentlich gar keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn das nächste Auto wartet schon.
Dass weniger manchmal mehr ist, zeigt wunderbar der Monolog im Volvo 240. Ein Mann redet über den letzten Abend mit seiner krebskranken Frau und darüber, wie er ihr Sterbehilfe gibt. Keine große Hektik, kein Kampf; viellecht nimmt der intime Moment den Zuschauer gerade deshalb einfach mit. Ein Moment, den die Schauspieler insgesamt über fünfzig Mal neu erschaffen müssen, denn auf einer Rückbank haben bekanntermaßen maximal drei Personen Platz . 21 Zuschauer werden so pro Vorstellung in sieben Gruppen à drei Zuschauer unterteilt. In jeder einzelnen Vorstellung haben die Schauspieler also sieben Mal jede Szene gespielt! Nach drei Tagen mit mindestens drei Vorführungen täglich muss man schon allein deswegen den Hut über dem zahlenverwirrten Kopf vor der schauspielerischen Leistung ziehen, die für alle Charaktere bis zum Ende hin wunderbar funktioniert.
Confessions ist ein Stück wie ein Muscle-Car: schnell, gewaltig und hart. Leider wird das Stück wegen des hohen Produktionsaufwandes und der sehr begrenzten Zuschauerzahl nicht weitergeführt. Das ist sehr bedauerlich, denn einen Markt für teure, schnelle Autos gibt es ja schließlich auch.
Der Regisseur von Confessions, Jan-Christoph Gockel, im Interview:
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