Radiohead – The King Of Limbs

Radiohead - The King Of LimbsSchnell wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass Radiohead ein neues Album am Start haben. Und nicht nur die Art der Vermarktung sorgte für Diskussionen – wird ihr Album doch wie ihr Vorgänger direkt über ihre Homepage vertrieben, diesmal jedoch für einen von ihnen festgelegten (und akzeptablen) Preis. Die Fragen drehten sich auch darum, was für eine Art Musik einen diesmal erwarten darf. Würde es „endlich“ – so die einen – wieder ein gitarrenlastigeres Album werden, oder würden sie „hoffentlich“ – so die anderen – die mit „Kid A“ eingeschlagene experimentell-elektronische Richtung weiterverfolgen?

Seit dem 19.02.2011 weiß die Hörerschaft mehr, eine eindeutige Zuordnung will und kann ihr dennoch nicht gelingen. Okay, es ist kein Rock-Album geworden und, ja, könnte wohl mehr in die Elektro-Ecke geschoben werden. Und doch schaffen es Radiohead wieder einmal, sich elegant eindeutigen Schubladen zu entziehen. So sind in dem Album ebenso Jazz- wie Funkanleihen auszumachen, die Tracks reichen von minimalistisch pointiert zu episch orchestriert. Aber noch einmal von vorne, genaues Hinhören ist hier gefragt.

Eröffnet wird das Album mit „Bloom“; eine Klavierschleife setzt an, die dann als Cluster reduziert das ganze Stück durchzieht. Kurze Gitarrenakkorde, ein Bebop-artiger Schlagzeugrhythmus und dann Thom Yorkes verhallter Gesang, der in dem Track auch den meisten Raum einnimmt. Darauf folgt das funkige „Morning Mr. Magpie“, welches mit seinen stakkato-artigen Gitarrenriffs noch am ehesten an frühere Radiohead-Stücke erinnern könnte, würde es sich nicht immer wieder zwischendurch in atmosphärischen Klängen auflösen. „Little by Little“ kommt mit einer treibenden Bassmelodie daher, die sowohl von Jonny Greenwoods wie auch von Thoms Solo-Ansätzen meist verstärkend mitgetragen und nur akzentweise konterkariert wird.

„Feral“ (Track 4) dürfte wohl als der seltsamste Track empfunden werden, dessen Drum and Bass-artiger Rhythmus noch das Zugänglichste an ihm ist. Thoms Gesang ist teilweise bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, dazu fragmentarische Keyboard-Akkorde und Bassbrocken – und über allen Klängen liegt Echo oder Hall bis zur Übersättigung. Kein schlechter Track, irgendwas zwischen Freejazz und psychedelischen Elektro, vor allem jedoch einer, der Fragezeichen hinterlässt.

Diese lösen sich allerdings bei „Lotus Flower“ wieder auf, definitiv eines der Highlights des Albums. Zudem wartet der Track mit einem ebenso simplen wie mitreissenden Video auf, das interessanterweise seine wichtigsten Merkmale unterstreicht: Ein fast ungewöhnlich grooviger treibender Song, simpel, leicht und doch mit kleinen Details gesprenkelt, Thoms Stimme ist hier unverkennbar im Vordergrund. Er versprüht eine Intimität, wie wir sie von seinem Soloalbum „The Eraser“ kennen – und die durch das Video mit ihm als tanzendem, sich gehen lassenden Sänger verstärkt wird. Interessanterweise erinnert die Basslinie auch an „Skip Divided“, ebenfalls von „The Eraser“. Thoms Solo-Ausflüge hinterlassen nicht nur hier Spuren.

Die beiden folgenden Songs sind erstaunlich zugänglich, fast „klassisch“ jedoch mit der für Radiohead typischen düsteren Melancholie versetzt und so gefühlvoll, dass man einfach inne halten und sich ihnen hingeben muss. Dabei setzt „Codex“ eine ganze Bandbreite an instrumentellen Möglichkeiten ein: Am Anfang nur mit Klavier und Gesang, setzen Stück für Stück Bläser und Streicher ein und pumpen das Stück auf, bevor es sich dann plötzlich in Rauschen und Alltagsgeräuschen auflöst. „Give Up The Ghost“ wiederum, das von Thom Yorke schon solo und mit Loopstation dargeboten wurde, könnte einen fast zum Stempel „pathetisch“ verleiten, würde es den Hörer nicht sofort in einem goldenen Käfig aus akustischer Gitarre, Percussion und den aufgeschichteten Gesangslinien Yorkes einfangen. Der achte und letzte Track „Separator“ kommt da vergleichsweise klar und nüchtern daher, die Düsterkeit weicht einer Ruhe wie nach einem Sturm, das Schlagzeug einfach und präzise, die Gitarre clean – dieser Song ist so sympathisch, dass man alle Ecken und Kanten des restlichen Albums vergisst und gleich wieder auf Play drücken möchte.

„The King Of Limbs“ ist ein Album einer Ausnahmeband, das zwar nicht ganz so originell und überraschend ist wie manche ihrer anderen Werke, dabei jedoch so eigen und individuell, wie es eben nur wenigen Künstlern gelingt. Der kreativen Vielfalt ist auch hier keine Grenze gesetzt, kategoriales Schubladendenken unerwünscht und obsolet. Radiohead lassen einen mit den Fragen und Erwartungen bezüglich der stilistischen Ausrichtung im Regen stehen – und letztendlich freut man sich darüber. Hörenswert!

Preview:

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Tracklist:

  1. Bloom
  2. Morning Mr. Magpie
  3. Little By Little
  4. Feral
  5. Lotus Flower
  6. Codex
  7. Give Up The Ghost
  8. Separator

(Radiohead)