Für jeden Menschen im Arbeitsleben kommt einmal der Zeitpunkt, an dem er anfängt, sich über die Rente Gedanken zu machen. Wie aber sieht das bei den „Popstars“ aus, die uns schon seit den 90ern begleiten, den DJs wie Westbam, Marusha, Tanith, Rok und wie sie alle heißen? Weil sie früh zu Stars wurden und das erstmal genießen wollten, haben sie nichts „Vernünftiges“ gelernt – und was macht man dann, wenn die Disco langweilig wird? Da kann das Leben schon mal zur Belastung werden und Gedanken ans Aussteigen liegen nicht fern.
Diese Gedanken schlichen sich auch bei Cle von den Märtini Brös vor rund 2 Jahren ein und er verkündete seinen Ausstieg. Jetzt aber kehren sie in der alten Besetzung zurück, inklusive neuem Album. Als „Comeback“ wollen sie das allerdings nicht verstanden wissen, und auch der vermeintliche Ausstieg klingt im Nachhinein weit weniger dramatisch. Immerhin arbeiteten Cle und Mike „Moved By Mountains“ innerhalb der letzten zwei Jahre kontinuierlich aus. Die Musik ist ruhiger als das, was man sonst von ihnen gewohnt ist. Klare Songstrukturen herrschen zwar vor, jedoch ist Atmosphäre wichtiger denn je geworden. Die Brös klingen älter.
„Overture“ (Track 1) könnte in Titel und Platzierung nicht besser gewählt sein. Er empfängt den Hörer ganz vorsichtig, führt ihn heran an das was da noch kommen mag. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl, wenn man bei einem großen Konzert vor der noch verhüllten Bühne steht und dahinter schon die eine oder andere Bewegung eher schemenhaft wahrnimmt. Man ist aufgeregt und es läuft ein wohlig kalter Schauer den Rücken runter.
Leider stellt der Übergang zum zweiten Lied zu Anfang schon einen kleinen Bruch dar. Die Flächen, die bei „Overture“ noch einlullten, weichen klaren, kühlen Beats; man will schon mit den Augen rollen und „oh nein, schon wieder so ein Minimal-Geplucker“ sagen. Nach kurzer Irritation übernehmen aber neue, verhallte Klänge und man ist erstmal wieder beruhigt. „Stay Amazing“ überrascht dann umso mehr – einerseits wohl deswegen, weil „Jericho“ zuvor nichts wirklich Spannendes bot, andererseits ist es auch für sich genommen ein zumindest „ungewöhnliches“ Stück. Man merkt deutlich, dass Cle und Mike etwas von Songwriting verstehen und nicht nur Beatbastler sind. Trompeten und Gesang werden als sehr schön und niemals opulent gesetzte Topics verwendet, die Grundstruktur der Beats ist abwechslungsreich und spannend.
Unaufgeregt übernimmt „Bring All Colors Home“ die Boxen und spätestens hier merkt man deutlich, was die beiden Herren meinten, als sie sagten, dass sie „in die Jahre“ gekommen seien. Während Louie Austen in deutlich höherem Alter allein mit seiner Stimme immer noch eine fast schon beängstigende Kraft ausstrahlt, gehen die Märtini Brös in die andere Richtung. Es hallt der Beat, es hallen die Vocals, alles tut nicht weh, nichts regt an oder gar auf. Dazu noch eine gniedelige Gitarre und eine Mundharmonika. Der Schaukelstuhl auf der Veranda ruft!
Mit den folgenden Liedern „Jolly Good Time“ und „Why“, die wieder mit Gesang arbeiten, verstärkt sich der Eindruck, dass die Brös mehr Freude am Songwriting haben als an der Erschaffung von Tracks – und auch der Hinweis auf Louie Austen wird bestätigt. Seine Stimme verleiht „Why“ die nötige Melancholie und Schwere, ohne aufgesetzt zu wirken. Louie schafft es wieder einmal, aus einem Track ein Lied zu machen. Nicht verkannt werden sollte aber auch, dass man sich als Sänger wohl fühlen muss auf dem Bett, das einem Lied zugrunde liegt. Bei „Why“ passt das eine zum anderen; Symbiose at its best.
„The Door“ ist nach Meinung der Brös dasjenige Stück auf „Moved By Mountains“, das am meisten der Pflege bedürfe, da es am ungewöhnlichsten sei und Gefahr laufen könnte, von vielen als „zu schwierig“ abgestempelt zu werden. Es klingt nach einer langen Session mitten in der Nacht, bei der einfach alles lief, bei der es keinerlei Absprachen brauchte und bei der sich Cle und Mike einfach nur unglaublich wohl fühlten.
Bei Track 9 trägt wieder einmal ein Stück seinen Namen zu Recht: „Physics“ experimentiert mit Klangstrukturen und Textpassagen. Von einem fast schon gruftig klingenden Anfang nimmt das Stück eine Entwicklung hin zu einem kontrolliert durchgeknallten Stück irgendwo zwischen Disco und Funk. „Durchgeknallt, Disco und Funk“? – da liegt Eric D Clark natürlich sehr nahe! Genau dieser ist es dann auch, dem dieses Lied auf den Leib geschneidert wurde.
„Gang Of Two“ treibt einem dann die Tränen in die Augen – ob vor Lachen oder Weinen, muss jeder selbst entscheiden. Auf der einen Seite ist es furchtbar rührend, wie Cle und Mike selbst zum Mikro greifen und sich gegenseitig ihrer tief empfundenen Freundschaft versichern. So emotional und schön solch ein Gefühl sein kann, und so nahe es bei Musikern natürlich liegt, dieses Gefühl in einem Lied zu verwerten – sie hätten es lieber im Studio lassen sollen. Denn man ertappt sich doch recht schnell beim Fremdschämen. „Gang Of Two“ ist lieb, aber man muss die beiden schon recht lange kennen, um ihnen dieses Lied nachzusehen.
„Yellow“, der vorletzte Track, beginnt wie ein Hörspiel. Wir belauschen ein Telefonat, das uns aber nur kurz begleitet und schnell der soundtrackähnlichen Musik die Kontrolle überlässt. Das Klavier versetzt uns in Unruhe; die Klänge drum herum und die Synthie-Streicher bilden den Gegenpart dazu, die dezent gesetzten Geräuschspielereien sind perfekt platziert. Unter den Instrumentalstücken der klare Favorit auf „Moved By Mountains“. „End Of The Year“ beschließt dann das Album und Mike greift mal wieder selbst zum Mikro. Ozzy Osbournes „Dreamer“ muss hier als Reminiszenz herangezogen werden: „Everything will be alright“…
Fazit: Nicht alles ist in Ordnung auf „Moved By Mountains“. Es ist ein Spiel, das die beiden Brös da mit ihren Hörern treiben. Fast könnte man vermuten, sie setzten ausdruckslose Tracks bewusst neben ausdrucksstärkere Lieder, um diese dadurch umso mehr gewinnen zu lassen. Aber Lieder schreiben können die beiden – und darauf sollten sie sich in Zukunft noch stärker konzentrieren.
Preview:
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Tracklist:
- Overture
- Jericho
- Stay Amazing (Feat. Mayne Thompson)
- Bring All Colors Home (Feat. David Harrow)
- Jolly Good Time
- Why (Feat. Louie Austen)
- Hammered
- The Door
- Physics (Feat. Eric D. Clark)
- Beautiful Children Of Mumu
- Gang Of Two
- Little Nemo
- Yellow
- End Of The Year