Zwischen Theorie-Olymp und Techno-Underground

Nach einer Woche Transmediale heißt es erst mal: Wunden lecken. Entweder man hat Blasen an den Füßen vom Laufen, Muskelkater in den Waden vom Stehen bei den Livekonzerten, sich das Hirn mit diversen Vorträgen durchpusten lassen oder abends einfach zu tief ins Glas geschaut. Die Transmediale 2011 war eine abwechslungsreiche Tour de Force, bei der eigentlich für jeden etwas dabei gewesen sein müsste. Das Filmprogramm reichte über die vom Goethe-Institut unterstützten „Arab Shorts„-Kurzfilme über Videoinstallationen im Haus der Kulturen der Welt (HKW)  bis hin zur Rundumprojektion im Cinechamber im Hebbel am Ufer.

Die Cinechamber im HAU2Der Cinechamber war zweifellos das technisch ambitionierteste Videoprojekt, dadurch aber auch das anfälligste. In der zweiten Wochenhälfte kam es immer wieder zu Problemen und es war ungewiss ob die Videoprojektionen funktionierte wenn man vorbeikam. Deadbeat musste deshalb sein Dubtechno-Liveset am Freitag im Dunkeln spielen. Wenn dann aber alles klappte, war das Erlebnis ein absoluter Höhepunkt. Ebenso beeindruckend war die Performance „SenSorSuit“ von Eboman. Der Künstler hat sich einen Anzug gebaut, der es ihm ermöglicht in Echtzeit mittels Hand-, Arm- oder Beinbewegungen Videosamples zu scratchen und zu manipulieren.

Jackmaster / CTM #11, Berlin, Maria am Ostbahnhof, Foto by Milan Gonzales

Wer eher auf Bewegungsanimation aus war, der konnte sich abends bei dem Musikprogramm der Club Transmediale so richtig austoben – wenn man denn rein kam. Das traf vor allem auf die Hyperdub-Nacht im Berghain in der Nacht zum Samstag zu, die so gerammelt voll war, dass etliche Leute draußen bleiben mussten. Das gleichzeitige Konzert von The Field und Gold Panda in der Maria am Ostbahnhof sorgte für längere Schlangen, die am Abend darauf nochmal bei der Party mit Modeselektor, Siriusmo und dem Nightslugs-Label aus England getoppt wurden. Eins der musikalischen Highlights dürfte jedoch der Wiener Dorian Concept am Donnerstag im Festsaal Kreuzberg gewesen sein. Mit Justin Bieber-Frisur mischt er Elektronik, Hiphop-Beats und Funk zu einem euphorischen Set: mit seinem Auftritt sollte er zahlreiche Fans hinzugewonnen haben.

Transmediale "Fair Use"-Vortrag - by Aleks Slota

Ewig lang ausgehen ging aber sowieso nicht, denn das Programm ging am nächsten Morgen um 11 Uhr wieder weiter. Im HKW gab es verschiedene Zonen, in denen parallel Workshops, Vorträge oder Diskussionsrunden stattfanden. Dabei nahmen vor allem die Vorträge, sogenannte Keynotes, das Überthema „Digital Liveness“ auf. Den Anspruch wurden die Runden nicht immer gerecht. Manchmal hatte man das Gefühl, dass lediglich Projekte oder künstlerische Arbeiten vorgestellt wurden. Andere Vorträge befanden sich auf dem Plateau der Hyperphilosophie: mit Referenzen an die Poststrukturalisten Deleuze, Foucault  und Guattari produzierten italienische Theoretiker wohlklingenden Wortsalat mit politischen Anspruch aber eher geringen Erkenntniswert. Was übrig blieb, waren am Ende recht banale, bemerkenswert kulturkonservative Aussagen (Maurizio Lazzarato: Bildung und Kultur, alles im Zerfall – und der Kapitalismus ist schuld!) oder luftige Vergleiche der Lebensbedingungen ägyptischen und tunesischer Studierender mit denen in London (Franco Berardi). Der Blick von den Höhen der politischen Philosophie scheint für einige Unschärfen zu sorgen. Wer den einen oder anderen Vortrag verpasst haben sollte: Die Keynotes wird man in den kommenden Tagen online im Archiv der Transmediale als Videostream ansehen können.

Woppow-Workshop auf der Transmediale 2011 / by Aleks Slota

Auf den kleinen Bühnen stellten sich Projekte oder Initiativen vor oder es fanden Workshops – kollektive Bastelstunden – statt. Bei letzteren galt es selbst Hand anzulegen:  wie beim Arbeiten im Sweatshop von WOPPOW oder der speziell für Kinder gemachte Workshop „Elektronik zum Klingen bringen“, bei die Grundlagen der elektronischen Klangerzeugung vermittelt wurden.

BLN.FM wird in den kommenden Tagen eine Spezialsendung zur Transmediale und Clubtransmediale senden mit Interviews von Liveacts, Künstlern und Rednern. Zusätzliche Informationen zu ausgewählten Projekten und Interviews mit Künstlern wird es auch geben.

(mit Alexander Koenitz, Fotos: Aleks Slota, Milan Gonzales)