Doppelte Kunst im Stattbad Wedding

So klobig und ausgedient das Gebäude von außen scheint, so facettenreich, verwinkelt und lebendig ist sein Innenleben. Der Ausstellungsbereich erstreckt sich über das gesamte Bauwerk, sogar verschlossene Bereiche sind mit Kunst bestückt – es gibt viel zu sehen!

Eine Fotoausstellung mit dem Titel „This is not America“? Eine Klangausstellung mit dem Titel „The Sound of No-One“? Ausgestellt in einer öffentlichen Badeanstalt, die keine mehr ist.

Während eines zweiwöchigen Workshops im September 2010 in New York wurden Design-Studenten der Berliner Technischen Kunsthochschule (btk) eine Woche durch den Big Apple geführt, die zweite Hälfte konnte sich jeder frei bewegen. In den Jahren zuvor fand die daraus resultierende Ausstellung im btk Gebäude statt, „Hier haben wir viel mehr Freiheit“, so der Professor für Fotografie Thomas Keller. Der Fotograf Todd Weinstein leitete den Workshop bereits das vierte Jahr in Folge. Seine Bilder sind unter anderem im Forbes Magazin und in der New York Times abgedruckt,  im Metropolitan Museum of Modern Art und auf der ganzen Welt ausgestellt, sein Manhattener Studio liegt unweit der 5th Avenue.

„Berlin ist nicht Deutschland, genau wie New York nicht Amerika ist“ stellt Todd fest. Daher auch der Titel „This is not America“. Elf Studenten stellen ihre Werke aus. Zu sehen gibt es alte und neue Fassaden, kleine und große Häuser, Trucks, Schaufenster, Grünflächen, aber auch zahlreiche, unmittelbare Einblicke in die menschliche Seele. Man sieht in Gedanken versunkene Gesichter, misstrauisch, melancholisch oder verzweifelt blickende Gesichter, geschlossene und mit Tränen gefüllte Augen. Und so viel mehr. All diese Bilder hätten wohl nie entstehen können, hätten die Fotografen nicht ihr Herzblut in das Projekt gesteckt. Genau deshalb macht es auch Sinn, eine Stadt zu fotografieren, die jeder schon aus Film und Fernsehen kennt – weil jeder Fotograf seine eigene Realität einfängt. Jonas Willingstorfers Fotostrecke „Traces“ ergreift Momente aus der Demonstration gegen ein islamisches, interkulturelles Gebetszentrum, das zwei Blocks entfernt von Ground Zero angedacht ist. „Wir haben das Bild radikaler Moslems im Kopf, die demonstrierenden, konservativen Christen waren aber wesentlich radikaler“ erklärt Douglas Henderson. Seitens der Christen waren teils gehässige Parolen zu hören, während die muslimischen, wesentlich ruhigeren Gegendemonstranten Amerikaflaggen in die Luft hielten. Sie schienen nicht für das Gebetszentrum, sondern für schlichte Akzeptanz zu demonstrieren. „Das Zentrum wird wohl errichtet werden, nur etwa 200 Meter weiter weg“, dessen ist sich Douglas sicher. Ja, Berlin ist nicht Deutschland und New York ist nicht Amerika, was aber in keiner Weise heißt, dass Berlin wie New York ist. Sogar im kulturellen Schmelztiegel Berlin überschlagen sich die Debatten darüber, dass sich Kulturen abschotten und sich weigern, die deutsche Sprache zu lernen. In New York hat jede Nationalität ihr Viertel; das wohl bekannteste ist China Town, dort fühlt man sich unmittelbar, als sei man in China. Drumherum gibt es deutsche, jüdische, italienische, polnische, griechische, kolumbianische Gemeinden und noch viele mehr. Warum geht das so problemlos in New York, sorgt aber in Berlin für Reibung? Douglas‘ Meinung nach ist das „einfach normal, es ist eben die Realität. Aber der Rest des Landes ist komplett krank im Kopf.“ Von den Abgründen menschlicher Logik nun in die Abgründe des Stattbads.

Schauplätze der zweiten Ausstellung sind die beiden leeren Pools sowie Teile des Kellergewölbes. Es sind Klanginstallationen, deren Klang aber nicht auf menschliche Akteure  zurückzuführen ist – „The Sound of No-One“ eben. Ein leerer Milchkrug, still liegende Rohre und das Innenleben eines Holzofens –  diese Gegenstände wurden bei der Aufnahme der Klanginstallation des Beitrags „Music from Empty Holes“ von Douglas Henderson verwendet. Das Ergebnis ist eine elektroakustische Symphonie, die sich wie eine Haube über den gesamten Raum legt. Douglas lebt in Berlin und Brooklyn, leitet die Klangkunstabteilung der „School of the Museum of Fine Arts“ in Boston und stellt seine Werke unter anderem in New York, Düsseldorf, Bologna, San Francisco und London aus. Er ist ein Amerikaner, wie er, gemessen an Klischees, kaum untypischer sein könnte: Er raucht selbst gedrehte Zigaretten, spricht offen und reflektiert über Politik und gehört zu dem verschwindend geringen Prozentsatz der U.S. Amerikaner, der sich mit seinen Ansichten ständig zwischen den Fronten der Demokraten und Republikaner befindet. Klar, dass ihn das unmittelbar auf die Schusslinie stellt. Das Thema Politik kommt in den Staaten nur im Kreis von Freuden und guten Bekannten auf den Tisch.
„Bitte frag mich nicht zur politischen Situation in Italien“, lacht Guido Canziani Jona, als ich zu einer Frage ansetzten will und dabei in seine Richtung blicke.  „Wir reden sehr gerne über Politik, aber wir gehen immer erst auf Tuchfühlung mit unserem Gegenüber.“ Wahrscheinlich ist das in seinem Fall auch gut so, zumal er kein Blatt vor den Mund nimmt. „Die Tatsache, dass uns (verglichen mit U.S.A.) mehr Informationen zur Verfügung stehen, ändert nichts an unserer Ignoranz. Wir sind auf eine andere Art dumm“. Damit deutet er auf Silvio Berlusconi hin, den er als „Übel des Landes“ beschimpft. Was seine Arbeit als Künstler betrifft, achtet Guido hingegen sehr auf Ausgeglichenheit. In seinen Werken mit akustischen Elementen sieht er Klang und Malerei als Zwillingspaar.Eines seiner ausgestellten Werke besteht aus sechs Platten, beginnend und endend mit den die Wörtern „Anfang“ und „Ende“. Eine Frauenstimme zählt abwärts, unterlegt von Geräuschen, die mit dem Ticken der Zeit zu spielen scheinen. Man lauscht der abtickenden Zeit und versinkt gleichzeitig in ihr.

Wie es Douglas Henderson es aus seiner Sicht als New Yorker so schön formulierte: „In Berlin hört man seinen eigenen Herzzschlag“. Die Kombination aus einer niemals schlafenden, ewig pulsierenden Stadt und Klang, der nicht vom Menschen erzeugt wird, scheint dann doch nicht mehr so voller Widersprüche wie es sich anfangs vermuten ließ. Also: unbedingt hin gehen, eine (Doppel-)Ausstellung wie diese wird man so schnell kein zweites Mal finden!

Letzter Ausstellungstag: 26.2., Öffnungszeiten: Mi. – Sa., 14-19 Uhr, freier Eintritt Stattbad Wedding, Gerichtstr.65, 13347 Berlin, S-/U-Bahn: Wedding