Zwischen Biochemie-Labor, Bastelecke und Uni-Hörsaal

Im Auditorium äußern Professoren, Künstler und Aktivisten Gedanken zu Digitalisierung und  Netzpolitik. Andere Räume des Hauses der Kulturen der Welt sind umfunktioniert zu Bastelraum, Marktplatz, Videokabinett und Großlabor. Das ist die Transmediale – Medientheorie trifft auf Medienkunst, gleich gegenüber vom Kanzleramt im Tiergarten. Die Visionäre wollen nicht nur Gedanken in die Welt setzen, sondern gleich zeigen, wie sie umgesetzt werden. Durch Kunst und Projekte! BLN.FM ist durch’s Haus gestromert – hier findest Du ein paar Eindrücke, fotografiert von Aleks Slota.

In Indonesien sterben jährlich viele Menschen an Methanol-Vergiftung, weil sie ihren selbstgebrannten Fusel getrunken haben. Das Kunstprojekt „Intelligent Bacteria“ der Gruppe HONF aus Indonesien will die Menschen nicht vom hedonistischen Alkoholkonsum entwöhnen. Die Gruppe gibt den Menschen stattdessen die Geräte und das Knowhow in die Hand Tropensäfte zu genießbaren Hochprozentigen gären zu lassen. Die Anlage macht nicht nur visuell was her, sondern hat auch akustisch seinen Reiz: im Fermentationsprozess produzieren die Bakterien mit ihren Abgasen ein munteres Blubbern und Ploppen. Mit Mikrofonen aufgenommen und verstärkt, eignet sich das deepe hypnotische Klangbett zu Meditation in einer verspulten Afterhour-Ecke.

Facebook ist die weltweit größte Datenschleuder. Und eins sollte klar sein: was einmal öffentlich im Profil steht, das wird Rohstoff für Alghorithmen von Datensammlern und Seelenverkäufern.  Alessandro Ludovico und Paolo Cirio haben im Projekt „Face to Facebook“ hunderttausende von öffentlichen Profilbildern ausgewertet und mittels Software die Gesichtsausdrücke der Personen analysiert und gruppiert. Danach fütterten sie damit die eigene Partnerbörse Lovely Faces, auf die geklauten Profilfotos wieder als Testimonials auftauchten. Wer die Diskussionen um die Facebook-Nutzungsbedingungen kennt weiss dass die Künstler einen Schritt hinter den Vermarktungsstrategien der Unternehmen sind. Interessant und nicht ohne Ironie behaftet ist da die Neuigkeit, dass Facebook rechtliche Schritte gegen die beiden Künstler erwägt, da sie die Kunstaktion als Verstoß gegen ihre Nutzungsbedingungen ansieht.

Spatial Sound Sculpture“ von Christopher Warnow und Daniel Franke ist eine künstlerische Pionierarbeit für augmented reality. Der Besucher läuft mit einem Tablet durch einen Raum mit  Sensoren und bekommt in Abhängigkeit zum Standort eine virtuelle Skulptur sehen. Dazu verändert sich der Sound innerhalb des Raumes. Anders als die Hitech-Industrie verfügen Künstler nur über begrenzte Mittel: die Installation besitzt eine charmante Do It Yourself-Ästhetik und gibt einen Vorgeschmack auf die Mischung zwischen real vorhandenen Räumen und rein virtuell vorhandenen Objekten. Wir werden mit Sicherheit in den kommenden Jahren mehr in dieser Richtung sehen.
Die Transmediale ist ein Umschlagplatz für skurrile Ideen: die Künstlerin Christin Lahr will seit 2009 jeden Tag 1 Cent auf das Konto vom Bundesministerium für Finanzen überweisen. Das ist der Beitrag der Künstlerin zur Linderung der Staatsverschuldung. Im Überweisungszweck gibt sie jeden Tag fortlaufend 108 Zeichen aus „Das Kapital“ an – der ökonomischen Welterklärungsformel von Karl Marx. Ungefähr 2052 ist Christin Lahr dann fertig. Wie sie sich vorbereitet und die ganze subversive Aktion dokumentiert – das ist im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten, S-Bahn: Hauptbahnhof, Bus 100