Humankapital kennt keinen Schmerz

Wenn eine Welt aus Kälte, Glas und Metall zerbricht, reißt sie tiefe Wunden ins weiche Menschenfleisch. Hart muss man sein. Der Berater Paul ist nicht hart. Er ist alt. Und man lässt ihn spüren, dass er das Verfallsdatum überschritten hat.

Falk Richters „Unter Eis“ gibt uns in ausdrucksstarken Bildern Zugang zum Leben der Großverdiener, Berater und Manager. Doch im Grunde genommen geht es um viel mehr: Es geht um die verheerenden Folgen des Lebens in einer Gesellschaft, die für die falschen Ideale wirbt.

Eine Story in chronologischer Abfolge wird nicht erzählt, eher besteht das Theaterstück aus einer poetischen Aneinanderreihung von Momenten künstlich erschaffener Euphorie, des Drucks und der Verzweiflung. „Heute bin ich in eine Tiefkühltruhe gefallen und eine Stunde darin liegengeblieben“, sagt Paul, der sich in einem Kokon aus Erinnerungen an seine Kindheit vor der emotionalen Kälte eines brutalen Kapitalismus abschirmen will. Gelingen wird ihm das nicht.

Thomas Thieme verleiht der Figur des Paul Niemand eine hohe Glaubwürdigkeit. Er spielt keinen erschöpften, isolierten Mittvierziger – er ist einer. Falk Richters prägnanter Text liefert für diese Interpretation sowie für eine philosophische Auseinandersetzung des Zuschauers mit der Thematik „Leistungsgesellschaft“ jedoch auch eine hervorragende Vorlage. Die musikalische und bühnenbildnerische Umsetzung des Stückes hält sich passend zur Botschaft an einen sterilen, medial angehauchten Minimalismus.

„Eine andere Welt ist möglich. Wir schaffen sie!“ – Schon längst ist es üblich, dass Konzerne Mitarbeiter entlassen, obwohl das Geschäft gut läuft. So schrieb das Magazin Focus im Dezember 2010, dass der US-Automobilkonzern General Motors bis Ende März diesen Jahres 3000 Mitarbeiter in 14 Werken in den USA loswerden will. Gleichzeitig soll in Orion/Michigan ein Werk wiedereröffnet werden und die Produktion in einigen Fabriken erhöht werden.

„Stillstand ist Rückschritt.“ – Die PC Games schrieb diese Woche, dass der Publisher Disney Interactive Media laut einer inoffiziellen Meldung mit 350 Stellen die Hälfte der Belegschaft abbauen will. Das hauseigene Studio Propaganda Games, das für das Videogame „Tron: Evolution“ zuständig war, und das Studio Junction Point („Epic Mickey“) sind betroffen, obwohl sich das Wii-Spiel allein in den USA 1,3 Millionen Mal verkauft hat.

„Morgen seid Ihr weg, alle.“ – Dem angesichts unfairer Entlassungswellen machtlosen Einzelnen bleibt der Rückzug in den Sarkasmus: Empfehlenswert hierfür ist eine Runde des Gesellschaftsspiels „Sozialplan“, das in Frankreich innerhalb weniger Wochen ausverkauft war. Ziel ist, genug Personal zu entlassen, um nach China auszuwandern.

Wer nicht so auf Gesellschaftsspiele steht, der kann sich „Unter Eis“ Anfang Februar in der Schaubühne am Lehniner Platz ansehen.

Unter Eis: nächste Vorstellung am 10. Februar 2011 um 20:30h, Karten ab 8€ (ermäßigt)

Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Berlin-Charlottenburg, U-Bahn: Adenauer Platz, S-Bahn: Charlottenburg, Halensee