Die technische und soziale Entwicklung des Internets rast. Das ist nichts Neues, aber ab und zu lohnt es sich mal kurz haltzumachen, um den Kopf aus dem Wasser zu strecken. Ob dieser Fortschritt unaufhaltsam weitergeht und wohin, darüber spekulieren auf der Transmediale Techniker, Künstler und Wissenschaftler.
Höhepunkte von Konferenzen und Festivals sind die Keynotes. Die Hauptreden von Prominenten sollen Schlagzeilen produzieren, weil sie mit besonders originellen Gedanken aufwarten oder dem Publikum revolutionäre Neuheiten verkaufen. Die Transmediale hat da „Keynote-Conversations“ zu bieten: Diskussionsrunden. Themen sind die zwei Diskussions-Reihen des Festivals: einerseits „Liveness“ – das Live-Sein im Zeitalter der allgegenwärtigen Netzpräsenz – und zum anderen Bioökonomie, der posthumane Körper und Testing Presence – die Bedeutung des gleichzeitigen Vor-Ort-Seins für eine gemeinsame Erfahrung. Für die meisten dürfte der Vortrag von Marc Surman am 2. Februar in der kanadischen Botschaft interessant sein. Der Executive Director der Mozilla Foundation, die unter anderem den Browser Firefox entwickelt, redet zu “Media, Freedom and the Web” (2.2., 18:30).
Die Diskussionsrunden in der Reihe „Body:Response“ drehen sich um den Körper. Wie wirken sich biologische, virtuelle und soziale Realität aufeinander aus? Was hat unser Online-Profil auf dem Fleischmarkt der Partnerbörsen oder die kreativ bearbeiteten Blender-Fotos auf Facebook mit der richtigen Person zu tun – und wie gestalten wir unsere Wiedergänger im Netz? Sind wir am Ende Wracks, weil wir uns in einem ständigen psychosozialen Wettbewerb um Aufmerksamkeit befinden? Wie verändert unser Verhalten ständig online zu sein und die oftmals unbekannte Anzahl an unsichtbaren Zuschauern oder Zuhörern unser soziales Verhalten? Wie definiert sich der Erfolg in solcher Gesellschaft, geht es am Ende nur um Clicks und Hits? Diesem Thema widmet sich die Keynote-Diskussion „Digital Liveness – Realtime, Desire and Sociability“ aus der „Body:Response“-Reihe (3.2. 16:00).
Die „Open Zone“ widmet sich aktuellen netzpolitischen Themen. Das derzeit wohl größte Schlagwort ist da Netzneutralität. Wurden früher die meisten Daten weitestgehend unkontrolliert durch das Internet weitergereicht, versuchen Staaten und Unternehmen zunehmend in die Daten hineinzuschauen und den Informationsfluß zu kontrollieren. Staaten wie China möchten mit der Great Firewall missliebige Botschaften aussortieren, die Copyright-Industrie Datendieben auf die Schliche kommen und Telefongesellschaften Konkurrenz wie Skype aussperren. Da lohnt sich zu schauen, was wir mit unseren Daten im Netz machen – und was Regierungen und Unternehmen damit tun. Die Open Zone will dabei nicht nur genauer hinsehen, sondern bietet auch innovativen Ideen und Experimenten Freiraum in Workshops und diversen Projekten. „Currency of the Commons“ stellt zum Beispiel den Versuch dar, einen alternativen Wirtschaftskreislauf von Ideen in der Realität vorzustellen und zu testen. Die „Open Zone“ findet sich während der gesamten Dauer des Festivals im Foyer des Hauses der Kulturen.
„Live:Response“ bezeichnet den Performance-Teil des diesjährigen Festivals. Dabei geht es nicht nur um den Live-Auftritt vor Publikum, sondern um das Phänomen der gleichzeitigen Präsenz. Das Netz als Nicht-Ort bietet dabei reichlich Gelegenheit für Experimente: mit seinen Daten füttert es einige Kunstwerke und Performances, die wiederum ins Netz zurückgespeist werden. Einen noch höheren Grad an Live-Seins verspricht die „Tour de Vinyl“ (3.2. 18:30). Dort wird ein Plattenspieler von einem Trimm-Dich-Rad betrieben – da ist klar, was passiert, wenn man schlappmacht. Vielleicht entsteht aber durch die eintretende Erschöpfung der Radfahrer ganz eigene Musik. Zu sehen ist die Performance am 2. Februar um 19:30 im Haus der Kulturen.
Unter dem Label „SyncExistence“ firmiert dieses Jahr der Filmteil der Transmediale. 58 Arbeiten aus 28 Ländern wollen vorführen, was die theoretischen Schlagwörter „Dynamisierung des Raumes“ und „Verräumlichung von Zeit“ bedeuten. “Arab Shorts” zeigt Kurzfilme arabischer Regisseure, einem Kulturkreis, der seit den beiden Kriegen in Afghanistan und im Irak wieder ganz oben auf der internationalen Aufmerksamkeitsliste steht (3.2. 18:30). Ebenfalls im Theatersaal wird am 5. Februar die Reihe „The Revolution will not be Televised“ gezeigt. Sie handelt von der Unfähigkeit des Mediums Film und Fernsehen, politische Änderungen herbeizuführen (5.2. 18:30). Die Straße und der aktive Protest bleiben die einzigen Möglichkeiten – so die Filmemacher.
Die Transmediale hat natürlich noch viel mehr zu bieten als nur die angesprochenen Themen, schließlich treffen sich 170 Künstler, Wissenschaftler und Medienaktivisten. Ein Festivalpass kostet 80€ ermäßigt 45€, für Einzelveranstaltungen können Tickets gesondert gekauft werden. Keynotes und Lectures werden aber auch im Live-Stream auf der Transmediale-Homepage zu sehen sein.
1.2.-6.2., Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten, Bus 100, S-Bahn: Hauptbahnhof