Jeden Tag oder besser gesagt jede Nacht ist die Elektro-Welt zu Gast in Berlin. Als europäisches Mekka für elektronische Tanzmusik hat sich Berlin längst etabliert. Viele internationale Künstler – zum Beispiel Peaches – haben sich in Berlin niedergelassen. Aber auch die Berliner Clubszene sorgt mit ihrer anspruchsvollen Programmgestaltung für einen steten internationalen Input.
In den ersten vier Dezembertagen hat nun auch das offiziellere Kulturberlin seinen Beitrag zur elektronischen Weltmusik geleistet: im Haus der Kulturen der Welt fand das Worldtronics-Festival 2010 statt. Es gab ein umfangreiches Programm mit Musik- und Filmbeiträgen aus aller Welt. Gleich zum Auftakt stellte sich ein Kooperationsprojekt von den Berliner Szenegrößen Jahcoozi, Modeselektor und den Gebrüdern Teichmann mit Musikern aus Nairobi live vor (BLN.FM berichtete). Außerdem gab es einen Barcelona-Abend mit elektrifizierten Rumbaklängen, eine Russlandnacht mit Elektronika klanglich zwischen Boysnoize und Apparat und zum Abschluss lud ein Elektro-Fachmarkt und ein Mexiko-Abend, kuratiert von Matias Aguayo, ins Haus am Tiergarten.
Ein Eindruck bleibt zumindest von den relativ besucherschwachen Tagen des Festivals: es gab viel Weltmusik zu hören, das elektronisch Tanzbare kam aber manchmal etwas zu kurz. Auch Organisator Detlef Dietrichsen gibt zu: der Fokus liegt nicht unbedingt auf „Elektronika im Clubsinne“.
Interview mit Worldtronics-Organisator Detlef Dietrichsen:
Voll war’s dagegen am Auftakt-Mittwoch. Dass die Kombination Jahcoozi, Modeselektor und Gebrüder Teichmann die Berliner auch im sibirischen Winter aus den Wohnungen lockt, ist wohl keine Überraschung. Aber trotzdem sind die ungefähr 1000 Besucher, die sich das BLNRB-Konzert nicht entgehen lassen wollten, ein Erfolg. Schade hingegen ist es, wenn sich am Barcelona-Abend 50 Besucher mit einem gefühlten Mitarbeiteranteil von 30 Prozent in der Weite des Café Global verloren und eher unentschlossen an ihrem Bier nippten.
Der von Chica Paula kuratierte Elektro-Fachmarkt am Samstagnachmittag war hingegen ein voller Erfolg. Hier kamen Branchenspezies mit Festivalbesuchern und Künstlern zusammen und auf zwei Bühnen gab es elektronische Leckerbissen. Auf der Fachmarktbühne spielten einerseits Künstler der ausstellenden Labels und ein separater Raum wurde vom DIM beschallt – dem dänischen Institut für elektronische Musik in Aarhus. Obwohl auch der Elektro-Fachmarkt etwas unter dem schneebedingten Anfahrtsschwierigkeiten und der relative isolierten Lage des HKW litt, überzeugte er durch die entspannte Atmosphäre. Es war eine kleine Branchen-Messe ohne Messe-Feeling, sozusagen ein Familientreff der Elektroszene. Einzig der internationale Gedanke könnte noch ausgebaut werden, dieses Mal war es eher ein Treffpunkt Berlin-Europa, dafür aber ein guter.
Interview mit Elektro-Fachmarkt-Kuratorin Chica Paula:
Das Haus der Kulturen der Welt steht vor massiven Kürzungen. HKW-Intendant Bernd Scherer nannte das Worldtronics-Festival als möglichen Punkt auf der Streichliste. Natürlich ist es grundsätzlich schade, eine so innovative Veranstaltungsreihe zur internationalen Elektromusik zu verlieren. Aber besonders auf ihrem Kerngebiet, der „Electronica Surprise“, also dem Vorstellen relativ unbekannter und experimenteller Künstler, hat es das HKW nicht immer geschafft genügend Publikum an Bord zu holen. Schuld hatte vielleicht das Wetter – aber sicherlich auch ein Image, das „offizieller“ geförderter Kultur manchmal angehangen wird: Mit Steuergeld würden Bands gefördert, die es ohne Zuschuss nicht nach Berlin schaffen würden. Der Vorwurf wird manchmal zu Recht erhoben, oft genug aber auch zu Unrecht. Viele Gast-Bands des Worldtronics-Festivals hätten auf jeden Fall mehr Publikum verdient.
Ein erneuertes Worldtronics-Festival könnte mit gleichen Idealen, aber ein paar Änderungen durchaus auch das skeptische Berliner Publikum zu den Konzerten von weniger bekannten Bands locken. Warum gibt es nicht mehr Kooperation mit den etablierten Berliner Szeneclubs und Booking-Agenturen? Warum nicht mehr Veranstaltungen in Off-Locations? Warum werden nicht Party-Kollektive aus den jeweiligen Gaststädten und Ländern angefragt, die jeweiligen Abende zu kuratieren? In Verbindung mit Szene-Insidern, die sowieso im alltäglichen Feiergeschehen international kooperieren, könnte ein neues Worldtronics nicht nur mehr Menschen erreichen, sondern vielleicht auch mit weniger Förderung auskommen.
Das Worldtronics-Festival ist eine gute und wertvolle Idee. Ohne eine Finanzierung durch Institutionen wie das Haus der Kulturen der Welt ist es oft nicht möglich avantgardistische Musik aus Ländern wie Mexiko oder Kenia in den Berliner Winter zu holen. Bleibt zu hoffen, dass das Konzept überarbeitet wird – und uns das lieb gewonnene Festival somit auch in Zukunft erhalten bleibt.
Text und Interviews: Simon Hennke, Fotos: Milan Gonzales